#Tag 10: ganze 3,4%

Mein Leben dreht sich derzeit um 3,4 % meiner Körperoberfläche, die ich für einen kleinen Moment unachtsam behandelt habe.

Es geht um vier Blasen – ihr kennt sie schon – eine ist inzwischen fast weg, eine ist blutunterlaufen aber schmerzfrei, eine ist kleiner und fühlt sich gut an, eine ist wieder mit Wasser prall gefüllt und damit auf dem gleichen Stand wie vor drei Tagen. Vielleicht sollte ich ihnen Namen geben, da sie ja offensichtlich verweilen wollen?

Ich habe sie zwei Tage geschont, keine Schuhe, kein Zimmer verlassen, sogar meine Badewanne überlistet, damit kein Wasser eindringen kann und dann ist fast alles beim Alten? Ich würde sagen: ich bin enttäuscht!

Ich stehe früh (8:00 Uhr) auf, um einen Apothekemarathon zu absolvieren. Ich stelle fest, dass die Situation in spanischen Apotheken fast genauso ist wie in Deutschland: die Apotheken haben nichts vorrätig und man muss mehrere anlaufen, um alle benötigten Produkte und Medikamente zu erwerben. Zumindest Ersatzprodukte, die Originalprodukte haben sie natürlich nicht!

Nach dem Einkauf schleppe ich meine Beute auf mein Zimmer und packe begierig aus. Es ist erstaunlich wie viel Müll die Pharmaindustrie produziert. Im linken Foto seht ihr die verpackte Ware und rechts ausgepackt.

Nach dem Einkauf mache ich mich ans üppige Frühstück und danach werden meine Blasen behandelt. So der Plan! Nachdem das Krankenhaus in Noroño offensichtlich nichts gebracht hat – vertraue ich auf alternative Methoden. Also steche ich die gefüllte Blase (ohne Blut) mit einer sterilen Spritze auf und entziehe 5 ml Blasenflüssigkeit (das kann sich sehen lassen) und hebe anschließend etwas Wunddesinfektionsmittel hinein (ähnlich Betaisdona). Es brennt. Wieder Desinfektionsmittel von außen drauf, eine antibiotische Salbe dazu und nun wird das Ganze unter Pflaster und Tapes vergraben.

Jetzt kommt – und das ist der Hammer – ein Nylonstrumpf drüber, um die Reibung zu minimieren. Man sagt, dass der Jakobsweg die Persönlichkeit verändert – vielleicht komme ich ja Strumpfhosen und Highheels und Minirock nach Hause?

Ich schaue mir die Tagestour an (kleinst Mögliche Strecke) und entdecke den „Ebro“ – einen Fluß. Wie ein Blitz schlägt er in meinem Kopf ein und ich überlege, ob ich eine Angelpause am „Rio Elbro“ einlege. Der „Rio Ebro“ ist „DER“ Fluss welcher für Waller über 300 cm weltbekannt und das Ziel vieler Angeltouren ist – er liegt zufällig vor meinen Füßen. Nur 500 Meter Entfernt fliest mein Angeltraum dahin!

Nein, ich möchte zurück auf den Weg. Also starte ich und soll schon bald feststellen, dass mein Rücken durch die zwei Tage Pause wieder auf Null gesetzt wurde (ok, ich hab auch viel zusätzlichen Balast eingekauft) und watschle mit meiner Schonhaltung den Weg entlang. Dieses Mal jedoch ohne Schmerzmittel, da ich die Signale meines Körpers nicht länger ignorieren möchte. Hier ein dickes Dankeschön, an meine geliebte Sany – für deren eindringliche Worte wegen des Risikos zu scheitern, insofern ich nicht mehr auf mich achte.

Der Pinguinlauf wird langsam zur Normalität. Heute mit Nylonsocken 😂.

Auf dem Weg aus Logroño heraus gehe ich meine eigene Route und komme ganz zufällig an einem Decathlon vorbei (den suche ich schon lange). Dort kaufe ich noch ein Tape zur Blasenprävention.

Auf einer wenig herausfordernden Strecke werde ich ständig von Fußgängern überholt. Ich bin frustriert aber dennoch dankbar, das ich wenigstens 15 km weitergehen werde. Ich habe dabei viel Zeit und mache am See „Pantano de La Grajera“ eine lange Pause und beobachte drei Angler. Sie fangen Seeforellen (mit Grundblei) und ich freue mich für sie.

Als ich wieder aufbreche, komme ich an ein Seerestaurant und werde von einem Eichhörnchen begrüßt, verfolgt und letzendlich zur Einkehr überredet. Ich möchte einen Kaffee trinken. Der Kellner spricht kein Englisch (wie fast alle hier) aber einen Kaffee auf spanisch bestellen ist kein Problem für mich: „Un gran café negro con zucket“ bestelle ich stolz und bekomme prompt eine „Cola Zero“ geliefert. Läuft – zumindest das „groß“ und „schwarz“ hat er verstanden.

„Un gran café negro con zucket“

Ich komme sehr langsam vorwärts und erst nach 6 Stunden Marsch in der Herberge in „Navarrete“ an. Normaler Weise wäre ich in dieser Zeit ganze 24 km gewandert. Aber gut – ich bin weiter!

In der Herberge angekommen, sehe ich nach meinen „3,4 % Leid“ und stelle fest, dass inzwischen alle Blasen gut unter Saft stehen. Ich zocke also eine neue sterile Spritze, desinfiziere die Wunden und sauge sie leer. Zur Sicherheit frage ich nochmal um Rat und bekomme den Tipp lieber direkt ins Gesundheitszentrum zu gehen. Ich habe genau 15 Minuten Zeit, um das Ziel zu erreichen bevor sie schließen. Es bleibt also spannend!

Also haste ich los und komme gerade noch pünktlich. Statt mir die Blase noch mal zu leeren kleben Sie mir neue Pflaster darüber und geben mir diverse Pufferstützen zum Wandern dazu.

Ich frage sie warum sie die Blasen nicht leeren und sie erklären mir, dass die Blutblase absolut steril gehalten werden muss. Hmmm – da war doch was – ich habe mit der Sprize darin rumgerührt und versucht sie leer zubsaugen?! Ich erzähle von meiner Tat und sie sind entsetzt: ich soll übermorgen zur Kontrolle ob es sich entzündet – na super!

Aber gut, meine Schuld – als „Belohnung“ gibt es am Rückweg erst mal ein (wirklich) großes Bier und einen Keks zum Abendessen.

Abendessen!

Tag 9: Zum Frühstück eine Prise Fremdreflektion gepaart mit Wasserblasenbehandlung

Das Symbol der Jakobsmuscheln kennzeichnet den Weg (die verjüngte Seite ist die Laufrichtung) und stammt vom heiligen Jakobus, dessen Gebeine in Santiago di Compostela ruhen. Er trug stets eine Jakobsmuschel am Hut und Gürtel – quasi sein Markenzeichen.

Maria ist jetzt seit 8:30 Uhr zurück auf unserem Jakobsweg und folgt den Jakobsmuscheln mit ihrem Herzen und ihrem Glauben. Ich wünsche dir viel Erfolg!

Ich sitze dagegen um 9:30 im Speisezimmer des Hotels zum Frühstück (draußen gewittert es und regnet in Strömen) und gönne mir leckeres Rührei mit Speck, Seranoschinken und als Butterersatz gibt es „Bruschetta“ mit Olivenöl. Letzteres ist übrigens eine wesentliche Verbesserung zur herkömmlichen Frühstückserfahrung. Dazu gibt es sechsfachen Espresso und frischgepressten Orangensaft.

Als Alternative zur Butter gibt es in Spanien Bruschetta und Olivenöl- Wahnsinn!

Ich geniese es, ohne Sorge eine Unmenge an Kalorien aufzunehmen, da ich ab morgen wieder 3.000 Kalorien auf dem Weg verbrennen möchte. Ist das nicht schön?

1. Fremdreflektion

Ganz alleine beim Frühstück bleibt die Zeit, den persönlichen Gedanken freien Lauf zu lassen (nicht nur beim Frühstück). Der Camino dient der Selbsterfahrung und dazu seine innere Stimme zu schärfen, seine Grenzen zu erfahren, neue Optionen zu entdecken und Perspektiven zu schaffen. Dabei geht es auch um Fremdwahrnehmung und die persönlichen Stärken. Ich hatte gestern Abend die Idee die Pilgerfamilie zu fragen, ob wir jeweils eine Profilbeschreibung von den anderen machen sollen, sprich mit welchem Mehrwert haben wir die Gruppe ergänzt?

Mein Beitrag zur Gruppe war demnach die Inspiration, Überzeugungskraft, Aufmerksamkeit und Motivation durch meine Hartnäckigkeit (60 km mit großen Blasen). Besonders freut mich das Feedback, dass ich mit meinen „Gedanken und Denkanstößen“ meine Mitstreiter dazu angeregt habe, aus verschiedenen Perspektiven über das eigene Leben nachzudenken und gemeinsam über das Leben zu lachen. Sie sagen „mit meinem Weitblick habe ich geholfen, eine wunderbare Welt zu entdecken“ und die „Familie“ mit meiner Art „integriert“ habe und genau das ist es, was ich mit meiner potentiellen Selbständigkeit erreichen möchte. 

Ich möchte mit SOLSUC anderen Unternehmen helfen, neue Potentiale zu erschließen und die Mitarbeiter als hoch motivierte, reflektierte agile Teams zusammenzufügen, die Spaß an ihrem Einsatz haben und damit echte Mehrwerte fürs Unternehmen schaffen. Das passt schon mal!

Ich selbst habe von unserer „Pilgrim Familia“ aber auch gelernt, dass ein Selbständiger „always on“ bedeuten kann. Es gibt kein Geld, wenn man nicht aktiv ist und die Nachfrage bestimmt den Einsatzzeitpunkt. Ich sehe hier das Risiko für mich, dass ich womöglich durch meine hohe Motivation/ Einsatzbereitschaft kein Ende finden werde. Auf ein Ausgewogenes „Work-Life-Banance“ muss ich wohl besonders achten!

Jetzt aber geht es erst mal zurück ins Hotelzimmer, ab aufs Bett mit dem Ziel die Heilung meiner Blasen zu begünstigen. Ich habe Zeit und schaue in die Socialmedia Kanäle … und siehe da …

2. Wie behandelt man Blasen auf dem Camino Francés?

Mein Blog hilft mir, nachdem ich ihn vorgestern in einer deutschsprachigen Facebookgruppe zum Thema „Camino Francés“ publiziert habe. Die unbekannten Mitleser kommentieren meinen Beitrag und ich bekomme ungefragt viele wertvolle Tipps zum Umgang mit Blasen. Ist das nicht toll? An dieser Stelle mein dickes Dankeschön an alle – insbesondere an Heidi T. T. aus Spanien!

Da ich nicht der einzige Pilger bin, mit diesem Problem, fasse ich die Ergebnisse nachfolgend zusammen (natürlich ohne Gewähr). Ich markiere die Wörter fett, die zusammen eine Einkaufsliste ergeben.

Nylonstrümpfe beugen Blasenbildung vor, da sie die Reibung zwischen Socken und Füß minimieren.
a. Blasen vorbeugen: 
man trägt Nylonsocken unter den Wanderstrümpfen gegen unnötige Reibung, stabilisiert die Haut an gereizten Stellen mit Kinesiologie-Tape bzw. „Omnifix“ von Hoffer.

Spürt man Reibung am Fuß, zieht man zwei Paar Socken über einander und reduziert damit das Blasenrisiko erheblich. Am besten fixiert man die Stelle noch präventiv mit Omnifix - in mehreren Lagen.

Vor dem Wandern cremt man sich seine Füße mir Hirschtalg ein. Das reduziert die Reibung zusätzlich. Und wenn ein Fuß zwackt sofort nachsehen, ggf. Mull bzw ein mullpföaster mit Omnifix über der leicht geröteten Stelle fixieren. Auch ein weißes Tape von Decathlon eignet sich bestens. Es wird einfach auf die gereizte Stelle aufgeklebt, solange noch keine Wasserblase sichtbar ist.

Die Füße müssen während dem wandern trocken sein - das vermeidet Wasserblasen. Dazu trägt man am besten Merino Socken und gönnt den Füßen bei jeder Pause frische Luft. In extremen Fällen tauscht man die Strümpfe mehrfach am Tag aus.

Die Schuhe müssen für sehr große Wanderstrecken (wie den Camino Francés) um 1,5 Größen größer gekauft werden, da die Füße stark anwachsen. Misst, meine sind nur 0,5 Größer!

Anleitung zum Schuhebinden: Wanderschuhe richtig schnüren. Die richtige Schnürtechnik entlastet den Fuß individuell und sorgt für festen Sitz zur Blasenprävention.
b. Behandlung geschlossener Blasen: 
Vorhandene Blasen schont man mit einem Lochpflaster (Lebewohl Druckschutzringe Oval - davon zwei übereinander und/oder Gehwol Schutzpflaster dick, 4 St) und schafft damit ausreichend Abstand zwischen Schuh und Blase - dann kann man weiterwandern! Blasenpflaster von Compeed sind laut einheitlicher Meinung reines Gift (nicht repräsentativ), da sie die Haut aufweichen und die Blase beim wandern vergrößern. Gut dass die Apotheke gestern geschlossen hatte und ich keine nachkaufen konnte! Gefüllte Blasen die nicht entzündet sind, behandelt man wie folgt: Blase ausreichend desinfizieren, mit einer Spritze durch die angehobene Haut stechen und die Flüssigkeit entziehen, dann in die Spritze „Betadine“ aufziehen und durch das gleiche Loch in die Blase spritzen (sodass sich die offene Haut unter der abgehobenen Haut verschließt). Zum austrocknen der Blasen trägt man Mercromina in rot auf, ein antiseptisches Mittel, das wirklich innerhalb eines Tages die Blase trockenlegt. Auf keinen Fall sollte man die abgehobene Haut entfernen (Entzündungsrisiko)!!! Alles desinfizieren, danach die Blase mit „Blastoestimulina“ (oder der Creme aus Fromista (s.u.)) einschmieren, Wundauflage von Cosmopor E drauf und fest zukleben mit Omnifix, fertig!

WICHTIG: Blutblasen müssen steril gehalten werden. Sie dürfen nicht manuell geöffnet werden. Am Besten damit zum Gesundheitszentrum, doer gibts dann Schoner um weiterzuwandern.
c. Offene Blasen und entzündete Blasen 
werden ebenfalls mit „Blastoestimulina Pomada al 1%“ versorgt. Man sollte aber auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen.

Zum Schluß gibt es zu den vielen anderen Empfehlungen noch zwei Geheimtipps.

Erstens: der Apotheker Juan Ramón Rodríguez MedinaAv. del Ingeniero Rivera, 21, 34440 Frómista, Palencia der eigene Wundersalbe gegen Blasen am Fuß hergestellt.

Zweitens: sobald die Blasen eine erste Schutzschicht haben, die das rohe Fleisch bedeckt, kann man jeden Abend ein Fußbad mit lauwarmen Wasser und einem Spritzer Essig machen (wirkt desinfizierend). Dazu gibt es eine große Brise Salz (trocknet die Blase aus)! Nach dem Fußbad soll man die Füße an der Luft trocknen lassen. Man sagt, dass die Blasen dadurch sehr schnell verheilen.
Schaumstoff Fersenschutz. Das entupuppt sich bei mir als Wunderwaffe. Denn mit diesem kann ich seit Tagen trotz großer Blasen erstmals wieder schmerzfrei weiterwandern.

#Tag 8: jeder Abschied ist ein Neuanfang

Nach einer anstrengenden Nacht im Schlafsaal neben völlig betrunkenen Spaniern, die sich ihre Mahlzeit nochmals unbedingt durch den Kopf gehen lassen und ihre Party nicht vor 6:00 Uhr beenden wollten, schlafen wir erst mal aus und liegen bis um 10:00 Uhr im Bett der Herberge.

Unsere Pilger-Familie bricht anschließend zu einem letzten gemeinsamen Frühstück auf. Wir genießen leckere Brötchen und Kaffee in der Sonne auf einem Bürgersteig und planen die Zeit nach unserer Auflösung und sind bedrückt. Die 7 gemeinsamen Tage waren einfach wundervoll und wir alle werden sie vermissen.

Die Henkersmahlzeit! Von links nach Rechts: Michael, Maria, Jessica und Sillian.

Maria – auch 🚀 „Rocket“ 🚀 genannt – die unserer Gruppe stets davongelaufen ist und die Ortschaften als Späher erkundete und schon alles wusste, bis wir endlich ankamen. Sie gewann täglich an Kraft hinzu und hat uns mit ihrer grenzenlosen Energie mitgezogen. Sie war unsere gute Seele und der ausgleichende Pol unserer Gruppe der uns gezeigt hat, dass die Grenzen nur durch den Kopf gesetzt werden. Ihre Stärke und ihr Mut ist bewundernswert und auch ihre Gabe an unseren Gesprächen teilzunehmen, wenngleich sie die Sprachen nicht spricht. Maria wird den Weg alleine weiterwandern und ohne uns nochmal an Geschwindigkeit gewinnen. Muchas gracias! Buen Camino!

Jessica – unser Energiebündel, das stets gute Laune versprühte, immer lachte und mit ihrem Charm stets pragmatische Lösungen für uns geschaffen hat und alles fleißig übersetzte. Sie kämpfte mit Gerechtigkeit für die Familie und setzte sich mit ihrem großen Herzen für uns ein. Jessica wird nun in ihren Alltag zurückkehren und reist mit dem Zug nach Barcelona. Ich werde nie vergessen wie sie uns am ersten Abend vor dem „Hungertod“ bewahrt hat, indem sie den hartnäckigen Kellner davon überzeugte, das sein Feierabend doch noch nicht gekommen war. Danke für die Aufheiterungen und kleinen Aufmerksamkeiten – die gelungene Überraschung mit meinem Lieblingsgetränk „Monster“ hat mir den Schmerz gelindert. Muchas gracias!

Sillian – unser Pilger-Mentor, pausenloser Unterhalter (der immer arbeitete und telefonierte), unser Übersetzer (6 Sprachen) und aufmerksamer Unterstützer dessen Energie grenzenlos ist und sich nicht deaktivieren lässt. Sillian ist ein hoch energetischer Mensch, der seine Berufung zum Beruf gemacht hat: er hilft selbstlos allen Menschen gleichermaßen – ganz gleich ob er sie kennt. Trotz seiner hohen Energiedichte hat er sich für uns ausgebremst, um mit uns eine Pilgerfamilie zu gründen und unser Wohl zu organisieren. Sillian wird jetzt bei einem Freund und Mitarbeiter seiner Entwickimungshilfeorganisation zwei Tage Pause machen und anschließend den Weg mit großen Wanderstrecken am Tag von bis zu 50 km in kürzester Zeit abschließen. Ich werde ihm immer dankbar dafür sein, dass er uns geduldig unterstützte, motivierte und mich am ersten Tag vor der Aufgabe aufgrund meiner Kraftlosigkeit beim steilen Anstieg der unzähligen Höhenmeter bewahrt hat. Danke auch für die vielen Pilgertipps, die ich durch ihn erlernen durfte und für deine Fürsorglichkeit mit der du uns jeden Tag versüßt hast. Zum Abschied wünscht er uns „Let that every day becomes a dream that touches you again“. Molte grazie! Buen Camino!

Nun, was war mein Beitrag? Ich glaube ich war die Inspiration der Gruppe, der Mann fürs Detail, der dafür sorgte, dass nichts übersehen und alles mit Fotos dokumentiert wurde. Derjenige der zeigte, dass es mit hoher Motivation immer weiter geht (trotz schmerzender Blasen oder Rücken), der persönliche (auch mal kritische) Denkanstöße gab, der zu allen Themen eine App hat und immer Strom und ein Always-On-Navi verfügt und mit dem man lachen konnte. Ich glaube das war meine Ergänzung für die Gruppe. Danke, liebe Pilger-Familie, dass es uns gab!

„Querida familia peregrina, os echaré de menos.

Aber so ist der Camino, man lernt wertvolle Menschen kennen, geht mit Ihnen einen Teil des Weges und erfährt dabei viel über sie und sich selbst. Man lernt viele neue Perspektiven kennen, man erweitert seinen Horizont.

Mein Plan für die zweite Tageshälfte ist, dass ich meinen Füßen heute einen Tag Auszeit und Ruhe gönne – und so soll es sein. Über Booking.com wird ein günstiges Hotelzimmer mit Wlan und Badewanne gebucht und anschließend fahre ich mit dem Taxi in ein medizinisches Zentrum.

Dort angekommen geht es los – die Übersetzung fehlt – weder die Dame am Empfang, noch die mich behandelnde Ärztin sprechen ein Wort englisch. Sie möchte meine Gesundheitskarte und blickt diese kritisch an, spricht vor sich hin und kopiert alles. Irgendwie geht es weiter. Ich erkläre mit den Händen worum es geht, kann aber die Antworten nicht verstehen.

Der Warteraum ist voll und nach nur 5 Minuten wird meine Wartenummer aufgerufen und es geht los zur Behandlung (in Deutschland hätte ich viele Stunden gewartet). Die Ärztin schaut etwas entsetzt als sie mir eine Blasen sieht und spricht irgendetwas auf Spanisch. Natürlich kann ich sie nicht verstehen, erkenne aber an ihren Gesten, dass es nicht gut ist was sie sagt. Sie spricht irgendetwas von pilgern und gibt mir zu verstehen, dass es wohl nicht weitergehen wird.

Ich zücke mein Handy und stelle ihr meine Fragen mit einem Übersetzungsprogramm (www.deepl.com) und zeige ihr die Übersetzung. Ihre Antwort verstehe ich nicht und so gebe ich ihr mein Handy und sie tippt wiederwärtig darauf los. So funktioniert der Austausch ganz gut – Problem gelöst!

Sie erklärt mir, dass ich drei Tage lang Pause machen muss, damit meine Füße heilen können. Ich darf keine Schuhe anziehen und muss dafür sorgen, dass die die Blasen nicht nass werden. Ich entscheide mich nach der Rückfahrt mit dem Taxi – mit meinen Schuhen in der Hand – dass ich das Hotelzimmer einen weiteren Tag verlängere. Ich gehe davon aus, dass die Blasen nach zwei Tagen schon ausreichend abgeheilt und auch die Schwellungen an meinen Knöcheln verschwunden sind. Das muss reichen!

Jetzt erst mal aufs Bett, mit der Familie telefonieren, schlafen und die Ruhe und Einsamkeit genießen. Endlich Privatsphäre, keine schnarchenden Zimmergenossen, ein eigenes Badezimmer und vor allem muss ich keinen Rucksack ausräumen und einräumen. Das wird toll! Nur schade, dass ich die Badewanne nicht nutzen darf – ohne Füße wird der Einstieg schwer.

Geschärfte Sinne durchs pilgern?!

Die Gedanken springen und so lande ich am Ende des Tages wieder beim Wesentlichen. Ich liege auf dem Bett und habe Hunger und denke darüber nach was ich essen könnte.

Der Verzicht auf die vielen kleinen Dinge des Alltags führt dazu, dass die Sinne geschärft werden. Alles wird viel intensiver und jeder Bissen führt zu einer Geschmacksexplosion.

So ist es nicht erstaunlich, dass ich gerade jetzt an das letzte gemeinsame Abendessen unserer Gruppe denken muss.

Wir hatten vorgestern ein 6 Gängemenü für jeweils zwei Personen (30,- € pro Person) mit je einer zugehörigen Flasche lokalen Wein. Das „Restaurante la Bellota“ war wundervoll und wir haben uns wirklich willkommen gefühlt.

Ich würde daher vorschlagen, dass jeder Pilger mindestens einmal in diesen Genuss kommen sollte.

#Tag 7: Der Lauf des Pinguins

Bei der morgendlichen Dusche haben mir meine prallen Freunde (die Wasserblasen an den Füßen) einen üblen Streich gespielt. Der Kollege am Fersen wollte sein ca. 2,5 cm langes Dasein nicht mehr länger ertragen und hat sich über Nacht verschlankt. Der Prozess sah nicht so aus, als ob es idealtypisch wäre und daher muss ich morgen – am Sonntag – einen Arzt konsultieren.

Am anderen Fuß hat sich der Freund Verstärkung geholt und jetzt leben sie im Nachbarschaftsstreit und wollen sich gegenseitig überbieten. Das kennt man schon mal – zumindest wenn man in Deutschland lebt.

Nach dem ersten Schreck wollten alle Freunde mit einer extra Schicht „Blasenpflaster“ versiegelt werden. Und das kostet wertvolle Zeit und dafür hatte man in unserer Herberge – im „Casa de la Abuela“ in „Los Arcos“ leider kein Vertändnis und so sind wie nach einer sehr unfreundlichen Verabschiedung aus der Herberge – ohne Frühstück – aufgebrochen.

Wenige Meter nach der Herberge gab es für uns in einer Kneipe leckeres Frühstück – einem Brötchen mit Schinken mit Ei – mit einem „un café negro grande“. Was will man mehr!

Und danach ging es los – auf den Weg der Pinguine. 75% unserer Gruppe haben inzwischen Blasen an den Füßen. Ich gebe mein Bestes, komme aber nicht über den Stil eines Pinguins hinaus. So watschle ich meine 19,07 km von 28 km Strecke vor mich hin und sorge damit zumindest für eine gemütliche Reisegeschwindigkeit unserer Gruppe. Die letzten Kilometer gebe ich auf und fahre mit dem Taxi zur Herberge in Logroño.

Der Rest unserer Gruppe ist erst gegen 20:00 Uhr an der Herberge „Albergue Albas“ angekommen und meine Mitstreiter konnten eine Steigerung der Fußprobleme verzeichnen. Wir sind dann alle – und es ist wirklich nicht übertrieben – wie die Pinguine zum nächsten Lokal gewatschelt und haben tränen über uns selbst gelacht. Was war das schön!

Lauf der Pinguine

Und nun? Ich werde mindestens einen Tag Pause einlegen, vielleicht auch zwei und treffe morgen Abend unseren Freund aus Texas während sich der Rest der Familie leider aufgelöst haben wird. Damit schließt sich der Kreis und ein neuer beginnt.

#Tag 6: 666 – the number of the beast

Wer die Wahl hat, hat die Qual? Nein, der hat die Freiheit zu entscheiden. Auch wenn dies nicht immer einfach ist, da die Konsequenzen oftmals nicht absehbar sind. 

Und genau vor so einer Entscheidung stand ich heute: Nach dem Aufstehen bleibt der weitere Verlauf für mich zunächst unklar. Was ist besser? Der Weg zu einem Arzt, der den Blasen an meinen Füßen helfen kann – oder den Weg mit meiner Pilgerfamilie geniesen und dabei das Risiko eines Totalausfalls einzugehen.

Ich entscheide nach dem morgendlichen Packen meines Rucksacks spontan und wähle unsere Gemeinschaft. Und das ist auch gut so!

Tag 6 – 666 km bis zum Ziel. Wir haben bislang im Schnitt 23,82 km/Tag zurückgelegt und waren dabei jeweils ca. 9h an der frischen Luft. Stand heute Abend sind es nur noch 633 km bis „Santiago de Compostela“.

Wir haben heute ein Wegstück von 21,6 km mit mittlerer Schwierigkeit gewählt und sind bei leichtem Regen losmaschiert. Nach wenigen Metern wurden wir von einem Schild darauf aufmerksam gemacht, dass es „nur“ noch 666 km bis „Santiago di Compostela“ sind. Das bedeutet auch, dass die ersten 100 km gestern völlig unscheinbar an uns vorübergezogen sind. Keine Party, keine laute Musik – nichts und das ist auch gut so.

Der Weg ist wunderschön und führt uns über bewaldete Berge und beglückt uns mit wunderschönen Aussichten auf kleine Hügel – einzigartig. Meine Laune ist bestens und die Diclofenac leistet ihre Dienste und ermöglicht mir einen wunderschönen Marsch – bis zum Ziel „Los Arcos“.

Wichtig ist, dass die zweite Tablette rechtzeitig eingenommen wird, da der Lauf ansonsten einer watschelnden Ente gleicht. Heute war ich so eine Ente!

Die kleine Raupe „Nimmersatt“ hatte offensichtlich Lust auf Polonaise und beglückt uns mit einer Wanderschlange von ca. 1,5 Metern länge. Natürlich in Richtung „Santiago de Compostela“ 🤣😂🤣. Mal schauen ob ich – watschelnder Weise – in ca. 5 Wochen vor den Raupen am Ziel bin.

Bereits am Vormittag sind wir im Weingebiet in der „Navarra“ angekommen – pünktlich zur Weinprobe.

Es war zwar etwas früh, aber natürlich wollte der Wein aus dem Wasserhahn an der Wand getestet werden. Man geht eigentlich davon aus, dass es ein billiger Wein wäre der einem ein Schütteln bis in den letzten Zeh treibt, aber nein – wir wurden eines besseren belehrt.

„Wanderer! Wenn du Santiago gestärkt und gesund erreichen möchtest, dann trinke einen Schluck von diesem Wein und stoße an, auf die Fröhlichkeit.“

Es handelt sich um einen „Tinto Irache“ welcher seit 1981 produziert wird und der im darüberliegenden Ladengeschäft für 6 Euro erstanden werden kann. Wie lecker er schmeckt – seht selbst:

Daran könnte man sich gewöhnen, der Wein fließt in „Bodegas Irache“ aus dem Weinhahn und stärkt die Wanderer.

Wir machen eine Mittagspause in einer spanischen Kneipe und dort treffe ich meine Wanderfreunde wieder (als Ente). Und natürlich ist auch diese Kneipe gut besucht von älteren Männern, die sich mit einem lokalen Wein begnügten. Warum gibt es bei uns keine Kneipenkultur mehr?

Dieses fröhliche Beisammensein strahlt eine angenehme Lebensfreude aus und zeigt welchen anderen Fokus es in Spanien gibt. Die Kneipen sind nicht schön, sie sind zweckmäßig und dienen der spanischen Lebenskultur.

Gegen 19:00 Uhr treffen wir am Ziel in „Los Arcos“ in unserer heute privaten Herberge ein. Wir werden mit leckerem Essen empfangen und ziehen nur die Schuhe (ein Gruß an die Nase) und Rucksack aus und setzen uns zu den anderen – bekannten Pilgern.

Und natürlich genießen wir unseren Salat, den Linseneintopf und die Eistorte zum Nachtisch. Dazu gibt es leckeren Wein!

#Tag 5: out of order

Meine Blasen fühlen sich bei mir sichtlich wohl. Sie sind bestens genährt und sie stehen im Saft wie eine frisch gefüllte Maultasche in ihrer Suppe. So verzieren sie nun fast meine gesamten Füße. Auch schön, hat man ja nicht alle Tage.

Nach unserem leckeren Abendessen – Pferde-Burger mit Wein – habe ich mich gestern Abend an den Tipp des Apothekers gemacht und das Werkzeug zur Öffnung angesetzt. Soweit erfolgreich, bis ich mich an die Ballen machte. Die Blasen an den Ballen haben sich strategisch perfekt platziert und sitzen so tief versteckt in ihrer Festung, dass sie nach meiner Arbeit lediglich durch kleine, oberflächliche Schnitte verziert scheinen.

Anders formuliert, habe ich jetzt nicht nur Blasen die auf den steinigen Wegen, die wie Wackelpudding glibbern. Sondern auch noch offene Stellen, die sich gerne hinzuschalten und mich darauf aufmerksam machen, dass meine Füße eine Pause wünschen.

Heute Morgen habe ich eine Diclofenac zur Verteidigung eingesetzt und wir sind los gewandert. Ziel waren 21,9 km und natürlich machten sich meine neuen Freunde alsbald möglich bemerkbar. Als Verstärkung haben sie meinen Rückenmuskeln hinzugeschaltet und sie alle zusammen konnten mir erfolgreich den Spaß nehmen.

So wanderte ich mit wirklich schlechter Laune vor mich hin und nach nur 5 km mussten wir eine Pause machen. Wie fanden eine geöffnete Bar gefüllt mit einheimischen Männern die alle Wein tranken und haben einen Eier-Kartoffelauflauf gegessen. Wer mich kennt weiß, das Nudeln besser gewesen wären. Aber es hat dennoch außergewöhnlich gut geschmeckt.

Jessica und Sillian sind nach dem Essen verschwunden und kamen mit einer Aufheiterung in Form von zwei leckeren – von mir geliebten – Monster-Energy-Dosen zurück – ist das nicht wundervoll ❤️❤️❤️? Ich habe mich wie ein kleines Kind gefreut!

Damit konnte es weitergehen.

Die Füße und der Rücken waren zunächst freundlich gestimmt. Das Pferd vom Vortag in meinem Magen hat aber am Ende auch nicht geholfen – der Körper siegt – und nach etwas mehr als die Hälfte der Strecke meiner Wanderung musste ich das Handtuch werfen. Ich bin in ein Taxi gestiegen und in die Herberge gefahren.

Ich habe in der Herberge mit vielen Leuten über deren Erfahrung gesprochen. Manche von ihnen empfehlen sie zu Bandagieren und zu ignorieren, andere sagen man solle eine Woche Auszeit nehmen.

Wie es weiter geht? Keine Ahnung. Vielleicht suche ich einen Arzt auf, vielleicht laufe ich langsamer weiter, vielleicht muss ich mich von unserer Gemeinschaft trennen … das wäre sehr schade.

#Tag 4: neue Horizonte

Heute bin ich den größten Teil der Strecke von 28,5km alleine gewandert und habe dabei viel über den Weg und das Leben nachgedacht. Immer wieder haben mich die Gedanken, die Schönheit des Weges und Zeit die man sich dort schenkt, zu tiefst berührt. Der „Camino Francés“ ist eine wundervolle Erfahrung.

Montaña del perdón – Der Gipfel liegt nach 500 Höhenmetern in der Mitte der heutigen Wanderung. Seine Geschichte wie auch die, des dort befindlichen Monuments möchte ich nicht vorenthalten:

Unter der Diktatur von „Franzisco Franco“ sollten alle Widerstände gegen seine Macht gebrochen werden. Er wollte die spanische Sprache bei dem von ihm beanspruchten Volk durchsetzen und dabei wurden alle wiederständischen Basken getötet. 39 von ihnen wurden leblos auf den Berg verbracht und dort gefunden – seitdem trägt er den Namen „Montaña del perdón“ (Berg der Verzeihung).

Monument aus Stahl auf dem Berg der Verzeihung.
Ein Denkmal für jene Menschen, die beim Widerstand gegen das Regime von Franco gefallen sind. Die Steine tragen die Namen der am Berg gefundenen Toten. Der große Stein in der Mitte steht für alle, die nicht identifiziert werden konnten.

Die vielen Eindrücke heute und die Zeit des Weges prägen meine Gedanken und daher könnte es nun etwas philosophisch werden, wenn ich über Perspektiven, die Pilgergruppe oder die Empfindung berichte. Vielleicht geben sie den einen oder anderen Denkanstoß?

1. Perspektiven: Der Weg spiegelt in gewisser Weise das Leben wieder. Jeder Hügel, jeder Berg bringt neue Horizonte und Perspektiven - neue Hügel, neue Täler und neue Wege, … - und diese gestalten die eigene Zukunft. Der Blick zurück zeigt die Vielfalt der vergangenen Handlungsoptionen. Die Freiheit über den nächsten Schritt bzw. die Wahl des neu entdeckten Weges, die diese neue Perspektiven mit sich bringen, ist jedem gegeben und verändern seine Zukunft. Nur demjenigen der still steht, dem bleiben sie für wohl immer verwehrt. 
Denkt man darüber nach, so sind viele Wege und deren Beschaffenheit durch tektonische Verschiebungen entstanden. Diese äußeren Faktoren beeinflussen unweigerlich den eigenen Weg. 

So hat mir mein Abstieg vom Berg über Geröll und Fels leider vier weitere Wasserblasen (zwei davon tiefsitzend unter beiden Ballen) beschert. ich hoffe, dass sie keine Zwangspause mit sich bringen.

Ein wachsender Gedenkplatz für einen verstorbenen Menschen. Viele Pilger fügen einen Stein hinzu.
2. Pilgergemeinschaft: Die durch das Pilgern verbundene Gemeinschaft wird durch den Startzeitpunkt verknüpft und ich bin froh und dankbar, Teil einer so vielseitigen und wundervollen Pilgergruppe zu sein. Man erlebt die Zeit gemeinsam, tauscht Erfahrungen aus und sammelt auch hier neue Perspektiven. Man geht auseinander und läuft sich wieder über den Weg, man hilft sich gegenseitig und ergänzt sich mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen und kann sich aufeinander verlassen. Eine wunderschöne Erfahrung! Danke liebe Freunde!
Ein Teil unserer Pilgergruppe vor Arena von Pamplona, dem Startplatz der Straßenstierkämpfe.
3. Empfindung: Ist das Empfinden lediglich eine Frage der Perspektive? Ich habe viel über die Schmerzen von gestern nachgedacht. Sie waren gestern den ganzen Tag präsent und haben einen großen Teil des Tages eingenommen. Nachdem wir für kurze Zeit pausiert hatten, waren sie für den Rest des Tages verschwunden. Ich dachte darüber nach, was sich geändert hat, denn alle Rahmenbedingungen blieben unverändert und entsprechend könnte es nur eine Frage der Perspektive sein?! Ich frage mich, ob der Rückenschmerz durch den Rucksack eine Frage der eigenen Perspektive ist? Wie auch immer, konnte ich gestern den Schmerz des Rucksacks über 28,5Km erfolgreich ignorieren. Wie? Ich habe ihn akzeptiert und anerkannt - wäre schön, wenn es immer so einfach bliebe. Etwas später sollte ich lernen, dass der Schmerz nur der Aufschrei des Körpers nach einer Pause ist. 

Buen camino!

#Tag 3: Der Feind des Fortschritts ist die Gewohnheit

Der Start in den dritten Tag war perfekt. Gut und lange geschlafen und dann gab es zum Frühstück reichlich Nudelsuppe und Fruchtsalat vom Vorabend. Was kann es besseres geben?

Heute war laut Plan der einfachste Tag seit Sonntag. Nur 21km nach Pamplona mit unwesentlichen Steigerungen. Nach dem erfolgreichem Tag gestern, sollte das machbar sein. Oder?

Leider nein, denn diese entspannte Grundeinstellung (ich dachte mein Körper hat sich bereits an das Wandern gewöhnt) hat meinen Körper offensichtlich auf Komfortzone „Sofa“ umprogrammiert. Denn bereits wenige Meter nach dem Verlassen der Herberge (im strömenden Regen) schmerzte der Rücken fast unerträglich. Und das sollte noch eine Weile bleiben.

Kurz vor der Aufgabe des Tourabschnittes und damit auch den Ausstieg aus unserer Gemeinschaft, entschieden wir uns einen Kaffee zu trinken und zu sehen wie sich der Schmerz entwickelt.

Das erste Café hatte aufgrund von Hochwasserschäden geschlossen und man versicherte uns, nach nur vier weiteren Kilometern ein leckeres Kaffee vorzufinden. Die Entfernung betrug jedoch stolze 7km und auch dieses Café hatte keine Lust auf Gäste. Eine Dame die unsere Frustration bemerkte, berichtete uns einer nahegelegenen Stadt, mit einem wirklich guten Kaffee. Aber auch dieses war im temporären Ruhestand und so kam es, dass ich trotz meiner Rückenschmerzen das Ziel erreichte und kurz davor mit einem Bier belohnt wurde. Danke – Camino Francés

Die Stadt Pamplona ist übrigends bekannt für die im Juli stattfindenden Stierläufe wo die Stiere von brunftgetriebenen und übermutigen Läufern durch die Straßen getrieben werden. Wir konnten weder übermutige Jünglinge noch freilaufende Stiere sehen. So sind wir sicher und zufrieden aber spät (20:00 Uhr) in der „Albergue Almagne“ gelandet.

In der Herberge wurden wir sehr freundlich von den deutschen Herbergsmüttern aus der Partnerstadt Paderborn empfangen und mussten uns erneut an eine 22:00 Uhr Regelung halten. Dieses Mal jedoch ohne Nachtwächter und gregorianische Schreckensmusik am Morgen. Gegen ein kleines Entgelt hat man uns die Wäsche gewaschen und getrocknet – während wir im Restaurant „Irunr“ königlich schlemmten, das Ernest Hemingway schätzte.

Fazit des Tages:

1. Habe stets Respekt vor den unspektakulären Dingen - sie bergen unerwartete Herausforderungen. 

2. Kleine Belohnungen zwischendurch sind die beste Motivation, sollten dosiert aber ausgiebig sein.

3. Verlasse dich niemals auf potentiell existente Lokalitäten oder geschätzte Entfernungen, es sei denn du willst dich damit erfolgreich (mit einer weiteren Blase) bis zum Ziel „durchmogeln“.

#Tag 2: spanische Herberge und Buchsbaumwälder

Knapp 50 km hinter uns und nur noch 790 km bis zum Ziel des Jakobswegs: Santiago di Compostela. Quasi ein gemütlicher Spaziergang.

Man stelle sich vor, man sei nach langem Fußmarsch in der Herberge (einem wunderschönen Kloster in Roncesvalles) angelangt und wird völlig entkräftet, übermüdet und erschöpft zunächst mit einem strengen Regelwerk konfrontiert. Das Ganze wird verbalakrobatisch so verpackt, dass man den Ärger schon spüren kann und man weiß, dass jeder Verstoß gnadenlos geahndet werden dürfte und hier keine Ausnahme die Regel bestätigt.

Die erste Reifeprüfung naht: der „Schlafinspektore“ schwebt in seiner Uniform 20 Minuten vor 22:00 Uhr gleichmäßig und mit konstanter Geschwindigkeit vorüber und verkündet die nahende Schlafenszeit. Das gleiche wiederholt sich 10 Min. später nochmals und dann folgen noch zwei nachgelagerte Kontrollgänge, bei denen jede Form der Elektrizität strengstens unterbunden wird. Entsprechend ruhig ist die Nacht und wird lediglich vom regelmäßig wiederkehrenden Gebläse des Handtrockners im Sanitärraum unterbrochen.

Der Morgen beginnt mit hellem Licht und gregorianischen Gesängen, gefolgt von Punkmusik der 80iger und endet mit dem französischen Chason „Je t‘-aime“. Ich vermute zunächst schlaftrunken, dass ein Nachbar einer nahestehenden Koje seinen Wecker auf voller Lautstärke vergessen hat. Fehlanzeige, es ist offizielle Aufstehzeit, damit alle den Schlafsaal pünktlich bis 8:00 Uhr verlassen. 20 Minuten vor 8:00 Uhr schwebt der „Aufwachinspektore“ vorüber und verkündet monoton, aber bestimmt, dass die Zeit des Exits naht. Gleiches wiederholt sich 10 Minuten später und um 8:00 Uhr wird einfach das Licht abgestellt und die verbleibenden Gäste zücken ihre Stirnlampen. Diese kleinen Erfahrungen haben den Aufenthalt zu etwas besonderen gemacht und ich bin dankbar.

Gegen 9:00 Uhr geht es los – in einen Tag mit 21 km Wegstrecke. Die Steigungen sind nicht so dramatisch und es geht einen großen Teil der Wegstrecke bergab. Wir wandern den Pferdekoppeln entlang die Hügel hinauf und hinunter und kommen in einen träumerischen Buchsbaumwald. Das dunkle grün und die vermoosten, vielästigen Stämme sind wirklich beeindruckend.

Ein wunderschönes wildwachsendes Buchsbaumgebiet und endlos bemooste Baumstämme in der Nähe von Zubiri.

Der Wandertag endet ähnlich dem gestrigen. Sobald die letzten 4 km angebrochen sind, zieht sich das Finale wie Kaugummi. Ich überlege wie man die Motivation bis zum Schluss aufrecht erhalten kann – leider Ergebnislos. Dieses mal war es nicht die Steigung, sondern der felsige Bodengrund und das Geröll, das uns nochmal alles abverlangte – denn nur ein Fehltritt könnte das Ende des Jakobsweges bedeuten.

Am Abend sind wir in einer privaten Herberge, schnippelten Gemüse und wurden von Silian lecker mit einem 4-Gängemenü (Gemüsesuppe, Ziegenkäse und Champinon-Pasta, Karotteneinlage und Obstsalat) bekocht. Anschließend konnte ich meine erste große Wasserblase an der Ferse versorgen (eine kritische Stelle wie ich erfahre). Hoffen wir mal, dass diese nicht zum Problem wird.

Es war ein wunderschöner Tag – in diesem Sinne gute Nacht 🌙.

#Tag 1: „Gehe deinen Weg mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand“

Der Herbergsvater erklärte, dass der Camino Francés kein Sport sei, bei dem man etwas beweisen müsse. Sondern das man diesen nach seiner inneren Stimme – mit Gefühl (mit dem Herzen) – gehen solle. So wollte ich es auch …

Ich war also fest entschlossen mit nur 11 km langsam zu starten, glaubte dann aber an mehr – wollte weiter und den gesamten Königsweg der ersten Etappe bezwingen. Das geht natürlich nur solange gut, wie der Körper und die Kraft mitspielen – dass sollte ich heute lernen!

Am Ende waren es ca. 28 km bei 1.100 Höhenmeter mit einem 10 kg Rucksack in ca. 11 Stunden mit immerhin 3.134 verbrauchten Kalorien.

Zwei Pilgerinnen Jessica mit ihrer Mutter Maria aus Venezuela und ein erfahrener, hilfsbereiter Pilger Sillian aus Italien als Mitstreiter am Tag 1

Die Motivation und Kraft hat mich 4 km vor dem Ziel verlassen und das vor dem steilsten Stück – 700 mühsam verbliebene Höhenmeter durch die Wildnis: non-stop. Zur Intensivierung meines ersten Nullpunktes wollten dann noch mehrere umgestürzte Bäume überklettert werden und damit zog sich der Fortschritt grenzenlos. Welch ein Glück, dass ich den – nicht enden wollenden – Wettlauf gegen die Dunkelheit nicht alleine bestreiten musste.

Nach 11h – die Erlösung durch das Gipfelkreuz ♥️

Mein Gesamtfazit für heute:

Vom Gipfel nur 23 Min Abstieg bis zur wunderschönen „Albergues in Roncesvalles“ mit 3-Gängemenü im „Casa Sabina“ – unendlich glücklich, lecker und dankbar 😊
1. Der Weg ist wie das Leben: du gehst den Berg steil nach oben und wunderst dich (zunächst), wie schnell man an Höhe gewinnt. An der nächsten Biegung geht es wieder hinab ins Tal. Aber wenn du weitergehst, kommst du weiter … zum Ziel! 

2. Die Perspektive macht die Motivation, den Antrieb und das macht den Unterschied - „ich will …“ versetzt Berge, „ich muss …“ setzt sie. Die Grenze setzt am Ende der Körper selbst.

3. Lerne deine Grenzen besser behutsam kennen.

Buen Camino!

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