Das übliche Morgenritual – ich verarzte die Füße und sichere die Pflaster mit Omnifix, schmiere den Rest dick mit Hirschtalg ein, ziehe den pseudo Coronaschutzbezug aus Papier von der Plastikmatratze und Kopfkissen ab, packe meinen Rucksack, dann gehts zum Wasser nachfüllen und auf die Plätze, fertig, los.
Heute bin ich der Vorletzte, der die Herberge verlässt – ich werde besser ;-).
Neben meinem recht entspannten Wanderweg nisten viele Storche. Die meisten sind mit Nestbau beschäftigt und dabei belegen sie tatsächlich alles, was ausreichend Fläche bietet. Felsen, Nistmasten oder Schornsteine. Bei letzteren bleibt der Nachwuchs wenigstens schön warm, sofern das Ei nicht vorab durchgekocht wurde.
Ich starte auf jeden Fall glücklich und zu frieden in den Tag und lasse es gemütlich angehen. Ich bin früh los und brauche 5-6 Stunden. Die ca. 250 Höhenmeter verteilen sich auf den ganzen Weg und der geht schnurgerade – eine Linie und fast die gesamte Reise direkt neben der Autobahn.
Es ist schon fast frustrierend, dass das Navi auf dieser geraden Strecke kaum benötigt wird. Aber eben nur fast, denn auch hier in Spanien gibt es listige Geschäftsleute oder Kinder mit dem Schalk im Nacken, die die Pilger mit gelben Pfeilen vom Weg zu ihrem Ladengeschäft oder abseits locken und dann der guten Hoffnung sind, dass sich die verirrten Wanderer über den Umweg freuen.
Das Frühstück gibt es auf einer Bank und ich esse das Brot welches ich seit Logroño mit mir herumtrage. Dazu einen heißen Tee aus der Herberge von vorgestern – ok, das macht keinen Sinn. Und zur Krönung gibt es noch ein paar gesalzene Mandeln obendrauf – was will man mehr?
Ich mache Mittagspause in einem Imbiss, deren Inhaberin kostenloses Frühstück nach Wahl, frisch zubereitet für Pilger anbietet und sich ausschließlich über Spenden finanziert. Jeder gibt was er kann und was er mag. Dort gibt es auch eine Kiste, wo Pilger Utensilien hinterlassen können, die sie nicht mehr benötigen. Andere Pilger können diese bei Bedarf kostenlos mitnehmen. Wie bemerkenswert das selbstlose Leben der Dame.
Am Abend erfahre ich von Pilgerfreunden, das während deren Anwesenheit sich ein, unter dem Deckmantel „religiöser Pilger“ – tatsächlich jedoch ein übler Schnorrer – fürstlich bedienen ließ und wutentbrannt von dannen stapfte – ohne Dankeschön oder Spende – als er erfuhr, dass die Übernachtung für ihn nicht kostenlos sei. Wie schamlos manche Menschen sind und sich nicht mal an einfache faire Regeln halten!
Nach meiner Stärkung und meiner Spende für die Dame habe ich ein Gespräch mit einem Haeadhunter für einen großen französischen Pharmakonzern. Es läuten die Alarmglocken als Wörter fallen wie: „wollen moderner sein, …“ oder „möchten sich Zeitgemäß aufstellen“ … die signalisieren, dass sie sich nur ein wenig anpassen wollen und nicht verstanden haben, dass die moderne Arbeitswelt sie überholen und überflüssig machen wird. Sie wollen sich waschen, ohne sich nass zu machen. Das habe ich schon einmal erlebt. Ich beschließe weiterzumachen, der Geschäftsführerin auf den Zahn zu fühlen um zu sehen, ob ich ihr die Potentiale für sie und ihr Unternehmen verständlich machen kann.
Ich denke lange darüber nach, es ist soviel mehr möglich: Commerce als Keimzelle zur Transformation zum agilen Organismus, um daraus digitale Geschäftsmodelle der Zukunft zu Entwickeln. Zeitgemäße Marktführer besitzen keine Produkte mehr, sie vermitteln Mehrwerte und Services für den Konsumenten, sie betreiben Plattformbusiness. Sie disruptieren ihre Branche indem sie die Lieferketten neu denken und alte Machtverhältnisse kippen.
Und die Pharmabranche ist genau so ein Beispiel, ebenso die Welt der Juristen oder die Finanzwelt von morgen. Versteht ihr was ich meine? Hier ein paar Beispiele.
Genau das ist es, was ich mit SOLSUC bezwecke – das ist es was ich mit meiner Selbständigkeit bewirken will. Das Gespräch zeigt mir das Potential, dass man erschließen kann, wenn sich kapitalstarke Marktführer selbst bedingungslos disruptieren und nicht darauf warten, bis es andere tun – ich brenne vor Motivation!
Nun aber zurück zu meinem Weg. Heute geht es durch einige Dörfer die zum großen Teil verlassen sind. Diese alten Schönheiten sind eine Schande, dass sie nun ihrem Verfall entgegen sehen. So viele Details, alte Fenster und massive Eingangstüren – sind sie nicht wunderschön?
Ich laufe weiter entlang der Autobahn (die vermutlich unangenehmste Teilstrecke des Jakobsweges) und bemerke, wie der Wegrand von vielen kleinen Schönheiten gesäumt wird.
Ich setze meinen Weg fort und betrachte meinen Fortschritt – viele kleine Schritte haben dazu geführt, dass ich in den kommenden Tage bereits ⅓ der Gesamtstrecke hinter mir gelassen haben werde.
Den Abend verbringe ich mit der gestrigen Geburtstagstruppe. Der Mexikaner und ich treffen das Pärchen im Restaurant und es gibt einen schmackhaften Tagesabschluss für 13,- Euro.