#Tag 17: Im Paradies

Meine Herberge „Albergue de Casa de Beli“ ist der absolute Hammer. Sie ist wunderschön eingerichtet und hat eine moderne Bar und ein Restaurant. Es gibt Menü von der Karte (über QR-Code abrufbar), dazu unbegrenzt Eis für meine Knochenhautirritation, schnelles WLAN und sie hat kaum Besucher, da sie direkt nach „Burgos“ strategisch ungelegen liegt.

Schlafraum der Herberge „Albergue de Casa de Beli“ – er soll heute mein Einzelzimmer bleiben. Luxus pur!

Entsprechend ist das Herbergszimmer für 10 Euro/Tag quasi ein Einzelzimmer und das Pilgermenü gibt es für 11 Euro, nur ein Stockwerk tiefer. Ein Frühstück mit leckerem Kaffee, frisch gepressten Orangensaft und einem Croissant kann sich für 4,50 Euro sehen lassen.

Ich habe die Nacht neben einem sehr netten älteren Spanier (ca. 70 Jahre) verbracht, der den Camino mit dem Mountainbike befährt. Wir verständigen uns über Google-Translate mit Vorlesefunktion. Seine Tochter – so erzählt er mir stolz – studiert in Deutschland seit zwei Jahren und ich schicke ihr, seinem Wunsch entsprechend, eine deutsche Sprachnachricht und er ist überglücklich. Als er unser Zimmer verlässt, schenkt er mir gesalzene Mandeln – sie verleihen Bärenkräfte sagt er.

Das ist gut, denn wer weiß ob ich neben riesigen Hirschen – die Kühe sind – auch auf Bären, als weiße Brieftauben verkleidet, treffe? Dabei fällt mir wieder ein, dass ich hier noch kein Wild gesehen habe. Wovon sollten sich da – die hier angeblich lebenden Wölfe – ernähren? Sie werden wohl kaum zum Abendessen in den Dönerladen im Dorf einkehren oder doch?

Egal – zurück zur Realität. Nach dem Frühstück komme ich in das Gespräch mit einer circa 75-jährigen älteren Dame die bereits 700 km durch Frankreich gewandert ist. Sie ist seit November unterwegs und lässt den Camino dieses Mal sehr langsam angehen – sie ist Glücklich. Es ist ihr zweiter Camino Francés, erzählt sie mir. Sie hat den ersten Camino mit sehr viel Schmerz und Schmerzmittel durchlaufen und hat dabei gelernt, auf den Schmerz zu hören. Deswegen hat sie gänzlich auf Schmerzmittel verzichtet und rät mir langsam zu machen, da man so insgesamt schneller ist. Je mehr die Stellen gereizt sind, um so länger dauert der Heilungsprozess.

Was sie sagt, ist nichts unbekanntes, aber die Intensität ihrer Aussage zu diesem Zeitpunkt hat ein anderes Gewicht. Ich erkenne meine Gedanken vor dem Frühstück wieder und nun stehe ich hier, schreibe meine Notizen in diesen Blog. Der Rucksack ist gepackt und die Schuhe sind geschnürt – nur der Schlafsack wartet noch darauf gerollt zu werden.

Ich überlege, 469km (Sillian ist schon 100km weiter) vom Ziel entfernt, hin und her. Ich entscheide – der Schlafsack darf weiter ruhn! Hier im Pilgerparadies werde ich einen Tag verweilen und die Knochenhautentzündung darf weiterziehen.

Die ältere Dame erzählte mir bei unserem Gespräch davon, dass sie sich öfters verlaufen hat. Darauf hin zeigte ich ihr die „Camino Ninja APP“ mit deren Hilfe sie nicht nur die Tagesplanung ihrer Wanderrouten (inklusive der Verfügbarkeit der Herbergen) durchführen, sondern auch jederzeit sehen kann, ob sie sich auf dem Camino befindet. Sie freut sich und installiert die App.

Es ist schon erstaunlich, da treffen sich zwei Menschen im Vorübergehen, tauschen für nicht mal 5 Minuten ihre Erfahrungen aus und beeinflussen ihre Zukunft gegenseitig wesentlich. Gracias y Buen Camino!

Bar/ Restaurant der Herberge „Albergue de Casa de Beli

Ich denke nach über das was Hugo gestern sagte. Er meinte in Spanien sind 80-90 % der Menschen sehr freundlich und hilfsbereit, in den großen Städten ist es umgekehrt. Warum verlieren viele Menschen untereinander den Respekt oder die Würde? Ist das überhaupt die richtige Frage? Warum nimmt die Distanz zu oder Hilfsbereitschaft untereinander mit der Zahl der Lebewesen ab? Hat es etwas mit reduziertem Verantwortungsbewusstsein zu tun, da man in der Masse meint es würde sich schon wer anders kümmern? Es hat sicherlich etwas mit Anonymität zuntun – dem Fehlen der Zuordnung einer Person zu einer von ihr ausgeübten Handlung. Wie auch immer, es ist schade!

Adiós y muchas conversaciones emocionantes la próxima vez!

Am Nachmittag bekomme ich die für mich traurige Nachricht, dass zwei aus der neuen Grupe den Camino abgebrochen haben. Sie sind 1,5 Tagesmärsche entfernt und haben aufgrund ihrer Wasserblasen und des nahenden Regens – für dieses Mal – die Freude an der Teilstrecke ihres Caminos verloren. Ich bin mir sicher, dass sie es mit Leichtigkeit nehmen. Es ist für sie keine Schande, kein Versagen sondern einfach eine weitere Chance für einen weiteren Marsch. Ich hoffe sehr auf ein Wiedersehen, auf dem Camino (sie verweilen 2 Tage) oder in Barcelona.

Ich selbst bin auch noch nicht über den Berg. Das Bein ist am Abend noch immer etwas geschwollen, hart und heiß, aber wesentlich weniger als nach einem Tagesmarsch. Die Pause hat gut getan ❤️‍🩹 – ob es ausreicht werde ich sehen …

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