Man stelle sich vor, man sei nach langem Fußmarsch in der Herberge (einem wunderschönen Kloster in Roncesvalles) angelangt und wird völlig entkräftet, übermüdet und erschöpft zunächst mit einem strengen Regelwerk konfrontiert. Das Ganze wird verbalakrobatisch so verpackt, dass man den Ärger schon spüren kann und man weiß, dass jeder Verstoß gnadenlos geahndet werden dürfte und hier keine Ausnahme die Regel bestätigt.
Die erste Reifeprüfung naht: der „Schlafinspektore“ schwebt in seiner Uniform 20 Minuten vor 22:00 Uhr gleichmäßig und mit konstanter Geschwindigkeit vorüber und verkündet die nahende Schlafenszeit. Das gleiche wiederholt sich 10 Min. später nochmals und dann folgen noch zwei nachgelagerte Kontrollgänge, bei denen jede Form der Elektrizität strengstens unterbunden wird. Entsprechend ruhig ist die Nacht und wird lediglich vom regelmäßig wiederkehrenden Gebläse des Handtrockners im Sanitärraum unterbrochen.
Der Morgen beginnt mit hellem Licht und gregorianischen Gesängen, gefolgt von Punkmusik der 80iger und endet mit dem französischen Chason „Je t‘-aime“. Ich vermute zunächst schlaftrunken, dass ein Nachbar einer nahestehenden Koje seinen Wecker auf voller Lautstärke vergessen hat. Fehlanzeige, es ist offizielle Aufstehzeit, damit alle den Schlafsaal pünktlich bis 8:00 Uhr verlassen. 20 Minuten vor 8:00 Uhr schwebt der „Aufwachinspektore“ vorüber und verkündet monoton, aber bestimmt, dass die Zeit des Exits naht. Gleiches wiederholt sich 10 Minuten später und um 8:00 Uhr wird einfach das Licht abgestellt und die verbleibenden Gäste zücken ihre Stirnlampen. Diese kleinen Erfahrungen haben den Aufenthalt zu etwas besonderen gemacht und ich bin dankbar.
Gegen 9:00 Uhr geht es los – in einen Tag mit 21 km Wegstrecke. Die Steigungen sind nicht so dramatisch und es geht einen großen Teil der Wegstrecke bergab. Wir wandern den Pferdekoppeln entlang die Hügel hinauf und hinunter und kommen in einen träumerischen Buchsbaumwald. Das dunkle grün und die vermoosten, vielästigen Stämme sind wirklich beeindruckend.
Der Wandertag endet ähnlich dem gestrigen. Sobald die letzten 4 km angebrochen sind, zieht sich das Finale wie Kaugummi. Ich überlege wie man die Motivation bis zum Schluss aufrecht erhalten kann – leider Ergebnislos. Dieses mal war es nicht die Steigung, sondern der felsige Bodengrund und das Geröll, das uns nochmal alles abverlangte – denn nur ein Fehltritt könnte das Ende des Jakobsweges bedeuten.
Am Abend sind wir in einer privaten Herberge, schnippelten Gemüse und wurden von Silian lecker mit einem 4-Gängemenü (Gemüsesuppe, Ziegenkäse und Champinon-Pasta, Karotteneinlage und Obstsalat) bekocht. Anschließend konnte ich meine erste große Wasserblase an der Ferse versorgen (eine kritische Stelle wie ich erfahre). Hoffen wir mal, dass diese nicht zum Problem wird.
Es war ein wunderschöner Tag – in diesem Sinne gute Nacht 🌙.