#Tag 31: Gipfelstürmer

James und ich starten den Tag gemeinsam und bekommen Gesellschaft von Veronika. Sie ist eine nette, zerstreute und vor allem gesprächige Dame. Damit ist für ausreichend Unterhaltung gesorgt.

Wir beginnen die zweitschwierigste Etappe auf dem „Camino Francés“. Die letzten 6 der insgesamt 18 Kilometer bringen 630 Höhenmeter mit sich – über Stock und Stein. Ich liebe diesen Weg durch die Natur und erfreue mich über die endlose Weitsicht – ein Traum!

Zur Steigerung der Gelingsicherheit, habe ich an die Worte von Hugo gedacht: „mach regelmäßig und vor allem viele Pausen“ sagte er. Gesagt getan und so war der Weg ohne Probleme zu bewältigen.

Zeitweise laufen wir alleine und tauschen Lebenserfahrungen aus. So sprechen wir z.B. darüber, dass viele Menschen ihr Leben nicht wirklich nutzen – nicht Leben – und sich eben dieses für die Rente aufsparen.

Mann erkennt sie daran, dass sie gerne von ihrer Jugend erzählen „wo sie einst frei und wild waren und Abenteuer erlebten“. Warum endet dieses Leben mit der Jugend?

Wir können jeden Tag für uns selbst neu entscheiden, ein erlebnisreiches Leben wählen und müssen dies nicht bis zur Rente aufbewahren. Das Leben ist zu kurz um es nicht zu Leben!
Ich muss wohl nicht mehr frieren: James hat am Wegesrand Handschuhe für mich gefunden

Wir sprechen auch über Führungsstile und jene Menschen, die mit Macht regieren und stets bemüht sind, diese zu erhalten. James hat früher in Nationalparks Projekte geleitet und stets in der geplanten Zeit realisiert. Authoritäre Führungskräfte haben seine Kompetenz stets gefürchtet und aktiv untergraben.

Später ist er in den Staatsdienst in die Erforschung der Nationalparks gewechselt. Dort musste kein wesentliches Arbeitsergebis abgeliefert werden – alles und jeder hatte unbegrenzt Zeit – und das war frustrierend und passte nicht in sein wertstiftendes Weltbild

Nun zurück auf den Camino. Nach den ersten 3 anstrengenden Kilometern des Gipfelsturmes trifft man auf ein kleines Dorf mit einer nagelneuen, wunderschönen Herberge mit Restaurant. Ich nutze die Chance und unterhalte mich mit dem Besitzer der Herberge – ein ehemaliger Fotograf aus Madrid.

Letztes Jahr hat er seinen Camino beendet und wollte sein Leben verändern. Jetzt hat er eine Herberge, hilft den Wanderern wenn möglich und steht stets mit Rat und Tat beiseite. Die Häuser in Spanien kosten schätzungsweise zwischen 10.000 bis 50.000 Euro – zuzüglich der Restauration – die ein vielfaches verschlingt.

Ob er Anschluss in Dorf finden konnte? Nun in seinem Dorf hat im Winter alles geschlossen und so ist es sein Vorteil, dass er als einzig geöffnete Herberge alle Besucher aufnehmen und im Restaurant bedienen kann.

Ich treffe bei meiner nächsten Rast eine 72 jährige Dame die ihren Gepäckwagen hinter sich herzieht. Sie erzählt mir, dass sie im Dezember letzten Jahres in Österreich (Wien) gestartet ist und bislang 2.500 Kilometer gewandert ist. Stolze 105 Tage ist sie nun auf den Beinen.

Sie war einst Fernfahrerin und hatte den „Camino Portugues“ ihren beiden Enkeln zum 12- Jährigen Geburtstag geschenkt und sie auf dem Weg in alle Entscheidungen eingebunden – ist das nicht schön? Dann berichtet sie, von deren Ankunft in „Santiago de Compostela“ und sie meint, es sei etwas unbeschreibliches – man sitzt vor der Kathedrale auf einem Stein und betrachtet sie Stundenlang. Das Gefühl am Ziel angekommen zu sein ist unbeschreiblich.

Ich frage sie nach ihren größten Herausforderungen und sie berichtet gerne. Das schwierigste waren ihre Passagen im Winter durch Gebiete ohne Restaurants und Herbergen – sie konnte keine Rast machen, da es keine warmen Räume gab. So musste sie 30 Kilometer ohne Rast laufen. Sie plant ihre Tage inzwischen nicht mehr, weil jegliche Planung von der Realität überholt wird. Planung ist obsolet – d.h. auch hier findet sich die Agilität wieder. Mein tiefster Respekt dieser netten Dame!

Nach drei Pausen bin ich am Gipfel angekommen. Ich kann es nicht in Worte fassen, dieses unbeschreibliche Gefühl nach 31 Tagen Wanderung, mit inzwischen ca. 640 km Strecke, heute die zweitschwierigste Passage erfolgreich gemeistert zu haben.

Gestern Abend noch, habe ich beim Anblick meiner Blasen über eine Zwangspause nachgedacht und heute lief es wie am Schnürchen. Weder die offenen noch die prall gefüllten Blasen haben mich belästigt. Ich glaube, es ist alles reine Kopfsache und die ist leider schwer steuerbar.

Endlich in Galizia angekommen – köstliche Speisen und besonders leckerer Oktopus sind hier vorgegeben

Ist es nicht ein kleines Wunder, was der Körper zu leisten und der Geist für Potentiale freizusetzen vermag? Diese letzte körperliche Herausforderung vor „Santiago de Compostela“ geschafft zu haben, stählt mich für meine Zukunft und ich weiß, dass ich alles schaffen kann – wenn ich es nur will.

Man benötigt nur drei Dinge im Leben - „wollen“ und „machen“ und „auf sich achten“. Der Fortschritt ist der Freund des Glücks!

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