Wegen der vielen Pausen haben wir gestern sehr spät in der Herberge „eingecheckt“. Dann wurde flott geduscht, in Windeseile die Wäsche in der Maschine gewaschen, parallel fürstlich gespeist und dann den Trocknungsprozess unserer Kleidung gestartet. Ich habe dieser Maschinenwäsche alles anvertraut was einer gründlichen Reinigung bedurfte – alles. Das Problem: die Waschmaschine hat nicht geschleudert, die Wäsche war triefnass und somit wurde der Trockner unser nächtlichen Joker.
Nun, was soll ich sagen? Wir wurden am Morgen zutiefst enttäuscht, denn der Effekt des Jokers blieb gänzlich aus – die Wäsche war genauso nass, wie am Abend zuvor. So haben wir weitere vier Euro im Schlund des einarmigen Trocken-Banditen versenkt und einen weiteres Glücksspiel gestartet. Die nachgelagerten 40 Minuten der Hoffnung haben wir genutzt um die Füße zu versorgen – leider zwecklos. Die Wäsche blieb nass und so hatte ich meinen einzigen Pulli bei nur sechs Grad Außentemperatur untragbar. Das ist maximale Frustration!
Was nun? Ich trage ein T-Shirt und das vor kurzem gekaufte Langarmshirt unter meiner Jacke – mehr habe ich nicht – und die nasse Wäsche wird bei Maria in den Rucksack gepackt. Sie nutzt zur Zeit zur Entlastung ihrer Knie einen Shuttleservice (5 Euro) fürs Gepäck. Dann schnell fertig gepackt und endlich – vamos – los geht’s.

Zu meinem Erstaunen muss ich nicht frieren, im Gegenteil, ich schwitze was das Zeug hält.
Heute geht es 24 Kilometer von „Portomarin“ nach „Palas de Rai“. Die Sonne scheint, die Laune ist wegen der morgendlichen Frustration gedämpft und dann kommt sie – die Begegnung mit der dritten Art.

Überall aus den umliegenden Häusern strömen Pilger auf die Straße, nur einen kleinen Teil davon hatten wir bereits gestern gesehen. Es werden mehr, immer mehr und mehr. Wo kommen sie nur her? Es sind so viele, dass sie unmöglich alle in den Herbergen nächtigen konnten. Es muss dort ein Portal zu einer anderen Welt geben – wie auch immer – es ist offen.
Alle laufen in die gleiche Richtung und nach einer Stunde durch den Wald stelle ich erneut fest, dass es sich unweigerlich um Zombies handeln muss. Warum? Sie schweben mit hoher Geschwindigkeit, seltsam duftend (Parfüm bei Pilgern?) und starrem Blick auf den Boden grunzend vorüber. Dabei versuchen sie jegliche Geste der Interaktion zu vermeiden – vermutlich um ihre Tarnung nicht zu gefährden. Kein Augenkontakt, kein Lächeln und keinesfalls ein „Buen Camino“. Es scheint als können sie nicht sprechen oder gar eigenständig Denken und so rotten sie sich immer wieder um ihren Anführer zusammen.

Neben den schier endlosen Zombierotten fahren an der nahe gelegenen Straße überfüllte Busse und Taxen vorüber. Sie Hupen beim vorbeifahren und lachen sich dabei vermutlich ins Fäustchen. Es gibt sie also wirklich die Schnorrer der „Compostela“.
Vereinzelt blüht das pure Leben zwischen all den Untoten auf. Es sind häufig Gruppen spanischer Jugendlicher – vermutlich Schulklassen – sie hören laut Musik, bleiben abrupt mitten auf dem Weg stehen und fangen an zu tanzen. Sie sind unendlich sympathisch, freundlich und zeigen uns – das Leben, hier und jetzt ist wunderschön. Sie haben meine Seele berührt und mir steigen Freudentränen ins Gesicht. Danke!





Nach knapp 9 Kilometer kommen wir an die erste Möglichkeit des Tages für ein Frühstück. Üblicher Weise ist die erste Lokalität durch eingekehrte Zombies belagert, aber sie sind just vor uns weitergegrunzt. Wir konnten sie gerade noch sehen und hören – grunz, grunz.
Also bleiben wir hier und kehren ein, ein Anblick der Verwüstung auf den Tischen und wieder – ein Lichtblick. An einem Tisch sitzt James – wild winkend – und bei ihm der nette Don Quijotte mit seiner koreanischen Bekannten. Wir gesellen uns dazu haben Spaß, trinken Kaffee und essen das übliche Baguette – der Tag ist gerettet.
Als wir wieder Aufbrechen scheint die Sonne und es ist warm, die Massen sind weg und es sind nur noch viele einzelne Pilger unterwegs.

Gegen Nachmittag treffen wir eine Dame vom Vortag. Sie macht die letzten 100 Kilometer des „Camino Francés“ als Probelauf. Sie will testen wie es ist, ob es mit dem Wandern klappt und was es bringt.
Meine Erfahrungen der inzwischen über 700 Kilometer Fußmarsch hatte ich ihr gestern schon gesteckt und so springen wir direkt ins Eingemachte.
Sie erzählt mir von ihrem bisherigen Leben: sie hat zeitlebens für andere Gesorgt, ist in die Alkoholsucht geflüchtet und hat sich selbst nie gekannt. Irgendwann hat sie die Veränderung gewählt, ihre Ehe aufgekündigt und dem Alkohol entsagt – heute ist ihr dritter Jahrestag – und sie ist glücklich. Wow – was für eine starke Persönlichkeit.
Geschichten wie diese sind es, die den „Camino Francés“ ausmachen – sie sind der eigentliche Wert des Weges.
Man lebt in einer ungewohnten Anonymität - trifft völlig unbekannte Menschen, schüttet mal eben die Persönlichkeit vollständig aus, bekommt Feedback, spricht über andere Perspektiven, hinterfragt sich selbst und zieht angereichert weiter.
Was ein grandioses Finale. Buen Camino!
