Meine Zeit fürs Wandern (3 Tage) ist zu knapp und der Weg (5-7 Tage) zu lang. Entsprechend habe ich zwei Handlungsmöglichkeiten: in der Stadt faulenzen oder den Weg verkürzen – künstlich versteht sich. Das neue Ziel ist Finisterra und ob es von dort weiter nach Muxia geht, lasse ich offen.
Ich mutiere folglich im Nebel des Morgengrauens zum Zombie-Pilger, laufe zum Busbahnhof, fahre mit dem Bus und fokussiere mich die kommenden Tage auf die schönsten Reiseziele.
Zeitig am Morgen wird der Rucksack gepackt und die Schuhe geschnürt – das fühlt sich unbeschreiblich gut an. Das Wandern hat mich zurück! Und pünktlich um 9:15 Uhr geht es dann – um 9:30 Uhr – mit dem Bus los.
Zuvor saß ich in zwei verschiedenen Bussen und habe glücklicher Weise nochmal mit Unterstützung meines Bustickets nachgefragt. Dort steht „Cee“ und dann folgt die überraschte Antwort des Busfahrers „No, no“ – also ab, in den nächsten Bus.
Normaler Weise sind die Busse überfüllt, erzählt man mir – aber es ist Ostern – und die anderen Zombiepilger verweilen in Santiago und das ist gut so. Ich überspringe mit einer Fahrt von 2,5 Stunden für 7,00 Euro ganze 3,5 Wandertage.
An einer Haltestelle steigt der Busfahrer aus und geht in eine Bar – der Motor läuft – dort trinkt er gemütlich einen Kaffee – der Motor läuft – und kommt wieder zurück und dann geht es weiter – der Motor läuft. Es ist eben alles entspannt hier in Spanien.
Nach der Busfahrt suche ich den „Camiño a Fisterra“ und wandere dort die knapp 15 Kilometer nach „Finisterra“. Dort will ich den Leuchtturm mit seinem Wanderschuh aus Stein besuchen. Er ist Symbol dafür, dass die Pilger früher ihre Wanderstiefel an dieser Stelle verbrannt haben, hatte mir Jessica erzählt. Und am späten Abend will ich beobachten wie die Sonne im Meer versinkt. Ich freue mich so sehr auf dieses „Ende der Welt“.
Ich ärgere mich ein wenig über den Pausentag Santiago, da ich im Rückblick die Zeit auch gerne auf den Beinen verbracht hätte – verrückt.
Und da kommt ein junger Bursche daher, er ist den gleichen Camino gegangen und das sieht man – etwas ungepflegt, gebräunt, meist humpelnd und mit viel Gepäck. Irgendwelche Gegenstände hängen belanglos am Rucksack herab – das Äußere ist mit den Kilometern gleichgültig geworden. Die Pelegrinos (Kurzstreckenplger), sind im Gegenzug gekämmt, gebürstet und gestriegelt. Nicht selten dampfen ihre Haare vom Lockenstab und so laufen sie dahin als würden sie mal eben in die Küche gehen. Sie setzen noch auf äußere Werte.
Ich schweife ab, … also der junge Franzose … er ist den ganzen Weg von „Seant Jean Pied de Port“ bis nach „Finisterra“ gelaufen. Er meint, er wäre völlig ausgelaugt, hat die Strecke seit Santiago nicht mehr genossen, weil sein Körper nach Rast ächzt. Er wäre wohl lieber mit dem Bus gefahren sagt er. Danke für meine Absolution denke ich und freue mich über frisch geruhte Füße.
Der Camino geht zunächst am Hafen von Cee entlang, dann auf einen Hügel in die Natur. Wundervolle Aussicht, die Feigenbäume sind bereits grün und die Zikaden zirpen von den Pinien. Eine völlig andere Welt.
An einer Bucht ist eine von außen unscheinbare Bar und ich will Frühstücken. Ich bestelle einen Salatteller und bekomme diesen ohne Brot gereicht, dazu einen leckeren Kaffee. Der Salat schmeckt fast so gut wie zu Hause, ich genieße ihn und ich habe noch Hunger. Also bestelle ich einen weiteren Salat – mit Brot. Der kellnernde Inhaber versteht mich nicht und Google-Translate fällt mangels fehlendem Internet aus. Wir verständigen uns mit den Händen und sind uns einig. Dachte ich!
Wenig später kommt der Salat, dazu das gewünschte Brot. Zusätzlich gibt es frisch gegrillte Rippchen – auch gut. Also beginne ich zu speisen und nach einer Weile bringt er eine Kräutersauce dazu. So mampfe ich vor mich hin und er kommt wieder und bringt Pommes daher. So langsam mache ich mir sorgen, dass ich die ganze Speisekarte bestellt habe, aber es geht nochmal gut. Weiteren Lieferungen bleiben aus!
Als ich bezahlen will, kommt der Kellner mit einem ganzen Arm voller Speisen auf mich zu. Mein Mund bleibt offen stehen und er biegt ab. Ein Glück! Als er abräumt frage ich ihn, ob ich mit Karte zahlen kann und er antwortet mit „si“. Dann denke ich nach und hoffe, dass ich nichts weiter bestellt habe.
Nein, ich zahle und laufe am Strand entlang.
Der Camino und die Menschen drum herum (danke Heidi) hat mich seit heute wieder und ich habe mir etwas in Erinnerung gerufen. Es geht nicht ums wandern, um ein physisches Ziel zu erreichen, sondern ausschließlich darum, das Leben zu genießen. Es ist völlig legitim mit dem Bus die Berge zu überspringen, um dann die letzten Tage am Meer zu verbringen.
Auf dem Weg treffe ich einen alt bekannten, hochgewachsenen Holländer, er ist im Stress da heute sein letzter Tag ist. Wir sprechen kurz und dann braust er weiter. Alles klar denke ich – ich habe alles richtig gemacht.
In „Finesterra“ wähle ich eine Herberge, die mir Lane (die zwei Deutschen am ersten Abend in SJPDP) empfohlen hatte. Ich hatte sie vorgestern angeschrieben, da ich sie seit „Tag 0“ und „Vancesvalles“ nur noch einmal wieder getroffen habe. Dann habe ich sie immer wieder mal auf Fotos oder Videos von Herbergsvätern gesehen und wusste daher, dass sie meiner Zeit weit voraus war. Sie ist bereits bis Muxia durchgelaufen und gibt mir tolle Tipps. Danke Lane!
Ich trete in die Herberge „Albergue La Espiral“ ein und treffe grenzenlos glückliche Menschen, zwei Männer aus Italien die hier im Sommer leben und eine Frau (die Inhaberin). Einer von ihnen führt mich ins Herbergszimmer und ich traue meinen Augen nicht, ich sehe die sehr interessante Persönlichkeit, den introvertierten Mexikaner „Louis“ aus dem Gebirgsjäger-Team vor einigen Wochen. Er ist den Weg über „Muxia“ nach „Finesterra“ entgegengesetzt gelaufen und hat am Nachmittag die selbe Herberge gewählt – aus 25 möglichen Alternativen – das ist der Camino.
Wir freuen uns wie kleine Kinder und wollen am Abend den Sonnenuntergang gemeinsam erleben. Vorab gibt es selbstgemachte, italienische Pasta, mit viel Knoblauch, Olivenöl und danach Zucchini mit Zwiebel und Brot und anschließend selbstgebackenen Kuchen. Das Essen wird durch Spenden finanziert und schmeckt unglaublich lecker.
In meiner Herberge wimmelt es von Menschen mit interessanten Lebensgeschichten das ist so spannend und inspirierend. Wahnsinn!
Einem 45 Jahre alten Mann hatte man vor 4 Jahren im Krankenhaus aufgrund einer schweren Krankheit nur noch wenige Monate prognostiziert. Da er nichts zu verlieren hatte, ist er den Camino gelaufen. Anfangs mit 2,5 Kg an Medikamenten die er nach wenigen Wochen eigenständig absetzte. Jetzt ist er kerngesunder Physiotherapeut und wird in drei Wochen mit seiner Familie nach Vietnam ziehen.
Er hat einen Berliner Arzt getroffen – erzählt er – der ohne Geld in Berlin gestartet ist und von abgelaufenen Lebensmittelspenden lebt. Er übernachtet im Zelt und seine unbeschreiblich zufriedene Ausstrahlung fasziniert ihn noch heute.
Er frägt mich, was ich morgen machen werde und ich antworte – „ich weiß es nicht“. Er lacht und meint „du hast den Camino wirklich durchlebt und verinnerlicht“. Nun, da ist glaube ich noch viel Luft nach oben. Aber auch ja, ich lerne – täglich neu – auf meinen Körper zu achten und das zu tun was mir Freude bereitet.
Er selbst ist seit Anfang des Monats in der Herberge, wollte eigentlich einen Camino gehen, und wandert täglich viele Kilometer in alle Hinmelsrichtungen. Die Klippen haben es ihm angetan und er erzählt davon. Schmale Pfade mit sehr steilen Anstiegen und atemberaubenden Aussichten – fern ab vom Massentourismus. Und am Ende kommt eine kleine abgelegene, idyllische Bucht. Ach ja, ich weiß es doch – sagt meine Stimme zum Hositalero – und verlängert das Herbergszimmer um eine Nacht.
Neben mir sitzen zwei deutsche Mädchen. Eine davon ist Deutschlehrerin – wie meine liebe Schwester – und wird ihr Leben in Deutschland aufgeben. Sie will in Thailand die Deutsche Sprache lehren und ist aufgeregt und freut sich zugleich auf diese neue Erfahrung. Sie erzählt von vielen Reisen, von vielen Erlebnissen – mit so jungen Jahren! Sie lebt wirklich ihr Leben!
Buen Camino!