Willkommen im Chaos! 

Drei Tipps für das unsteuerbare wirtschaften im Chaos.

Viele Unternehmen agieren auf Basis hierarchischer Strukturen, die sie einer komplizierten Marktwirtschaft (Vorgehen: erkenne – analysiere – reagiere) wohlverdient mit Erfolg gekrönt haben. Sie haben den Fortschritt zur Komplexität (Vorgehen: probiere – erkenne – reagiere) noch nicht abgeschlossen und schon wieder entwickelt sich unser Umfeld weiter?

Die Klimakrise, Pandemie, gestörte Energie- und Materialversorgung wie auch die daraus resultierende Inflation und die Aussicht auf eine weltweite Rezession katapultiert uns geradewegs ins Chaos (Vorgehen: handle – erkenne – reagiere). 

Nun, die Chaostheorie zeigt, dass auch dort Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge existieren. Aufgrund der stark gewachsenen Wechselwirkungen, Vernetzungen und Rückkopplungseffekten ist es jedoch im Chaos völlig unmöglich Vorhersagen zu treffen. Einzige Sicherheit wäre es, darauf zu warten bis sich das chaotische Verhalten im Zeitablauf zu geordneten Mustern einschwingt. Doch auch diese scheinen nicht vorhersehbar. 

Welche Veränderung bringt das Chaos?

1. Unternehmen brauchen zweifelsohne nochmals gesteigerte Flexibilität. Das bedeutet für mich einen maximalen Digitalisierungsgrad und agile Strukturen, um noch schneller zu erkennen und kurzfristig zu reagieren. Warum? 

2. Neue Hypothesen müssen globaler betrachtet, in den Extremen gebildet und die gewachsene Erkenntnisvielfalt datenbasiert gebündelt und automatisiert verarbeitet werden. 

3. Das bedeutet für mich auch, dass notwendige Reaktionszeit durch hierarchische Führungsebenen verunmöglicht werden. Es wird im Chaos noch wichtiger sein, die Entscheidungskompetenz zur Fachkompetenz zu geben.

Das geht mir an die Nerven!

Unterkomplexe Nervensysteme scheitern an komplexen Problemen – die agile Organisation schafft Abhilfe

Vorab: Ich treffe immer wieder Menschen, denen der Unterschied zwischen einfach, kompliziert, komplex und chaotisch – nicht geläufig ist. Dieser Unterschied ist meiner Meinung jedoch für das Verständnis der Probleme in unserer ökonomischen Welt essenziell.

Warum? Jedes Problem sucht seine Lösung und es gibt einfache, komplizierte, komplexe und chaotische Probleme. In unserer (noch?) globalen Marktwirtschaft mit hohem Digitalisierungs- und Innovationsgrad und dem wachsenden Anspruch junger Arbeitnehmer, sind bislang nahezu alle Probleme komplex. Zur Lösung und Steuerung eines komplexen Problemsystems braucht es laut dem Kybernetiker Ashby ein ebenso komplexes Lösungssystem.

Betrachten wir unser Gehirn als unser persönliches Lösungssystem. Es ist unser Zentralnervensystem, das aus einem Peripherie-Nervensystem, Rezeptoren und Effektoren besteht. Es ist gespickt mit Eindrücken und Erfahrungen aus unserer ganz persönlichen Evolution – unserer Geschichte – und ist unser einziges Mittel, um mit unserer komplexen Welt adäquat umzugehen. An manchen Tagen gelingt das gut, an manchen eben nicht.

Unser Nervensystem ist in der Lage, mit komplexen Entscheidungssituationen umzugehen, kann dies mangels persönlichem Perspektiv- und Erfahrungsreichtum nicht perfekt und reagiert im Vergleich zur komplexen Umwelt in den meisten Fällen unterkomplex.

Deshalb geht bei unseren Handlungen sehr häufig etwas schief. Warum? Weil wir eben sehr komplexe Probleme mit einem im Gegensatz dazu unterkomplexen Nervensystem zu lösen bzw. zu steuern versuchen.

Besser gelingt die Lösung komplexer Probleme, wenn wir Probleme in einem Kommunikationsnetzwerk bestehend aus vielen neuronalen Netzwerken – also einem Team von Fachkompetenzen – zu lösen versuchen und wenn die einzelnen Komponenten dabei eine hohe Test- und Lernbereitschaft zeigen. Im interdisziplinären Team schaffen wir sozusagen ein „soziales Gehirn“, das einer Einzelintelligenz häufig überlegen ist.

Dies ist letztendlich der Grund, warum in einer komplexen Umwelt eine agile Organisation mit sozialem Netzwerk gegenüber gekapselter hierarchisch denkender Einzelintelligenzen in der Lösungssicherheit überwiegt.

Worin liegen aber die Unterschiede?

1.) EINFACH
Eine einfache lineare Lösung kann und wird i.d.R. gefunden. Einfache Probleme sind gekennzeichnet durch:

a. Wiederholbare Muster mit eindeutigen Ereignissen,
b. klare Ursache- und Wirkungsbezug,
c. eindeutiges Beziehungsgeflecht,
d. es gibt richtige Antworten.

Vorgehen: erkenne - beurteile - reagiere
2.) KOMPLIZIERT: 
Komplizierte Lösungen können ebenfalls gefunden werden, da das Systemverhalten linear agiert. Komplizierte Probleme sind gekennzeichnet durch:

a. Das System ist relativ gut vorhersehbar,
b. Ursache- und Wirkungsprinzip sind vorhanden, aber nicht von Jedermann erkennbar,
c. Expertenrat ist nötig,
d. es gibt häufig mehr als eine richtige Antwort.

Vorgehen: erkenne - analysiere - reagiere
3.) KOMPLEX:  
Komplexe Probleme sind schwer vorhersehbar, da sie einer Vielzahl von Variablen unterliegen, die untereinander in Verbindung stehen und teilweise große Abhängigkeiten aufweisen (Schmetterlingseffekt). Das Systemverhalten ist nicht-linear und somit kann ein vergleichsweise kleiner Input einen großen Output erzeugen. Komplexe Probleme sind gekennzeichnet durch:

a. Alles ist in Bewegung und nichts ist vorhersehbar,
b. es gibt keine richtigen Antworten,
c. es gibt etliche Unbekannte,
d. erkennbare Orientierungsmuster sind vorhanden,
e. viele konkurrierende Ideen,
f. kreative und innovative Ansätze helfen bei der Lösungsfindung.

Vorgehen: probiere - erkenne - reagiere
4.) CHAOTISCH: 
Die Unvorhersagbarkeit wird im Chaos maximiert. Es gibt weder erkennbare Muster noch Ursache-Wirkungsbeziehungen. Dem Problem kann nur reaktiv begegnet werden. Chaotische Probleme sind gekennzeichnet durch:

a. Hohe Turbulenz,
b. keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen,
c. große Unbekannte,
d. viele Entscheidungen unter hohem Zeitdruck.

Vorgehen: handle - erkenne - reagiere

Meine Frage an euch: Haben wir bei der Vielzahl an gegenwärtigen Krisen bzw. Problemen (Klimakrise, Rezession, Inflation, (Welt)Wirtschaftskrise , …) den Hafen der Komplexität verlassen und bewegen wir uns geradewegs ins Chaos?

#Tag 45: Ultreja – es ist dein Weg

Das Wunder Camino?

Um den Camino gibt es viele Geschichten und Wunder. Die Realität ist, dass er einem jene Menschen, Ereignisse, Erfahrungen und Perspektiven bringt, die man in seiner Entwicklung im jeweiligen Lebensabschnitt benötigt. 

Der Weg - oder man selbst auf dem Weg - zieht die Veränderung an, die man sich wünscht. Man darf nicht aktiv danach suchen, mann muss beobachten und geschehen lassen. Man muss das Leben frei lassen und man muss es leben. Es ist ganz leicht!

Der Camino ist die Essenz der Agilität denn lediglich das physische Ziel und die Richtung sind grob bekannt. Die Menschen auf dem Weg, der Weg selbst, die Hürden und Hindernisse, die persönlichen Grenzen, die Nahrungsversorgung, die Pausen und die Orte zur Nächtigung sind maximal flexibel. Keine Vorschriften, keine Sicherheit und keine Gewissheit - der Camino ist das Treiben im Leben in Reinform - im hier und jetzt. Das Ergebnis, die persönliche Erkenntnis, die persönliche Innovation und Veränderung kommt abseits der Norm und des Standards - immer dann, wenn man neue Wege geht, offen und aufmerksam sein Umfeld betrachtet und bereit für Veränderung ist.

Ist der Camino magisch? Nun, jeder der mich kennt, weiß mich als „ungläubigen Thomas“ zu schätzen. Aber an diesem Punkt muss ich sagen „ja - er ist magisch“ und das auf das wesentlich reduzierte Leben - das Leben - das ist seine Magie.

Der Camino wie auch die durch ihn bereitete Transformation sind im übrigen nicht Ortsgebunden, sie beginnen mit der Entscheidung den Weg zu gehen. Die Vorbereitung, das Einwandern und die Gedanken bringen erste Veränderung indem man seine innere Komfortzone verlässt, unbekannte Wege geht und die Veränderung ermöglicht. Das Ende des Weges ist ebensowenig das Ende, es ist ein neuer Anfang!

Für mich war mein Camino etwas ganz besonderes. Eine Mixtur zwischen Sport, Grenzerfahrung, Verzweiflung, Schmerz, Natürlichkeit, tollen Menschen mit kulturellen Unterschieden und Perspektiven, leckerem Essen und täglich neuen Erfahrungen. Der „Camino Francés“ ist mein großes Abenteuer und am Ende habe ich mich selbst und das unendliche Glück in mir gefunden. Danke Camino Francés, danke Welt!

Was hat sich für mich verändert?

Am 19 Tag schrieb ich folgende Hyopthese: „… das entspricht meiner Interpretation des Caminos, wo der Schmerz und das Leid notwendiges Übel sind, um die eigene Transformation voranzutreiben. Aus der reinen Komfortzone heraus ist nicht ausreichend Weiterentwickungsnotwendigkeit gegeben. Das ist aber nur meine aktuelle Einschätzung und ich bin gespannt, ob sich dieses Weltbild am Ende des Caminos ändert.“

Ich glaube nach dem „Camino Francés“ weiterhin, dass der Camino - oder die lange Zeit mit sich selbst - einem jene Lehreinheiten bringt, die die eigene Persönlichkeit braucht um sich selbst zu finden, sich selbst treu zu sein und mit seinem „Ich“ in Harmonie zu verschmelzen.

Das Ziel und auch die Lektionen werden bei jedem Menschen anders gelagert sein. Die Erfahrung des Caminos ist also nicht zwingend mit Schmerz und Leid gekoppelt. Es ist eben mein Weg!
Ich bin nach meinem Jakobsweg kein anderer oder neuer Mensch, aber sicherlich reifer als zuvor. Ich habe gelernt die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen und erkannt wie wenig es benötigt, um Glücklich zu sein. 

Eigentum und Besitz sind nicht notwendig, aber die bedingungslose Wertschätzung seiner selbst. Um glücklich zu sein, braucht man nur Zeit für sich selbst, muss seinen Körper respektieren und dem Leben freien und vor allem ungezwungenen Lauf lassen.
Und man muss neue Erfahrungen suchen, sein Umfeld analysieren und sich selbst hinterfragen - man muss sein Leben leben. Und wie immer im Leben wählt man zunächst nur eine Richtung und geht dann den ersten Schritt, der Rest fügt sich, wenn man es nicht erwartet.

Der Organismus des menschlichen Körpers ist zu meinem wichtigsten, großartigsten Team geworden. Meine Füße, sie waren z.B. ihr ganzes Leben ungeachtet und sind in den vergangenen sechs Wochen zu meinem Zentrum der Welt geworden. Sie verurteilten mein bisheriges Leben, brachten meinen Weg fast zum Scheitern, lehrten mich der Langsamkeit und ermöglichten am Ende meinen Erfolg. Mein Körper ist mein Organismus und hat maximale Wertschätzung und Aufmerksamkeit verdient. Ich habe durch das Caminotraining und den über 800 Kilometern Strecke auf dem „Camino Francés“ fast 16 Prozent meines Körpergewichts und Umfang verloren und fühle mich unschlagbar fitt, gesund und mein Leben ist unkompliziert geworden.

Was hat sich noch verändert? Ich wußte lange Zeit nicht so Recht warum ich diesen Blog schreibe, aber jetzt ist es mir klar geworden. In erster Linie für mich selbst, damit ich mich erinnern kann und immer wieder bei Bedarf diese kleinen Wahrheiten hervorholen kann. Ich bin dankbarer geworden und gebe meiner Familie und der Welt damit (hoffentlich) ein kleines Stück zurück. Ich mochte andere Teilhaben lassen und vielleicht durch den einen oder anderen Gedankenfunken angeregt wurden. Schön, dass ihr mich begleitet habt. Danke Camino - danke Welt!

Was würde ich anders machen?

Nun, es ist wie im normalen Leben. Man sollte langsam beginnen, die ersten Schritte mit bedacht wählen und auf die Signale seines Körpers achten und den Dingen freien Lauf lassen. 

Hohe Geschwindigkeit am Anfang wird mit physischen Schulden der Zukunft bezahlt. Wer langsam startet und den Körper langsam an die neue Lebensweise gewöhnt, der wird am Ende schneller sein und andere überholen.

Es gibt eine eiserne Regel auf dem Camino und die ist falsch - man sagt „die letzten 4 Kilometer sind immer schmerzhaft und ziehen sich stets wie Kaugummi - es gibt keine Gewöhnung“. Die Wahrheit ist, dass man bei diesem Gefühl langsam machen sollte und auf jeden Fall pausieren. Damit kann man auch die letzten Kilometer des Tages geniesen. Meine Regel lautet daher: alle 5 bis spätestens 8 Kilometer oder wenn etwas schmerzt, ausreichend lang pausieren und die Natur genießen.

Meine Ausrüstung werde ich künftig bei Decathlon kaufen, die haben sehr gute Qualität, alles sehr durchdacht und sehr günstig. 90% der Ausstattung der Pilger ist von Decathlon. Die Wanderschuhe würde ich gleich mit 2 Größen mehr kaufen und ein zweites, leichtes Schuhpaar das an keinen potentiellen Blasenstellen (z.B. Sandalen von Earthrunners) reibt.

Sobald Probleme mit den Füßen oder Beinen auftreten sollte man den Gepäckservice nutzen. Das entlastet die Füße maßgeblich und verhindert Zwangspausen. Außerdem würde ich alles entsorgen, was nicht von Nöten ist - kein Imprägnierspray, ausgediente Cremes, alles zurücklassen - das spart Gewicht. Und nicht immer so viele Sorgen machen, es geht immer weiter - wenn man nur will.

Zur Wahrung der Flexibilität sollte man keine Herbergen vorab buchen, auch keinen Rückflug und ausreichend Puffer vorsehen, denn nichts ist so Schade wie ein erzwungener Abbruch, wenn man noch nicht am Ende ist.

Bei der Auswahl der Herbergen werde ich nächstes Mal verstärkt mit dem Herzen suchen. Die Herbergen die mit dem Herzen für ihre Pilgerschützlinge kochen, „Heidi‘s Place“ oder die „Albergue La Espiral“, sie geben so viel mehr zurück als die vermeintliche Billigware die es für Schnäppchenjägerpilger in den Restaurants unter „Pilgrim-Menue“ gibt.

Herbergen in größeren Etappenzielen werden gut besucht, dort ist viel los. Interessante Menschen trifft man häufig vor- oder nach einem Etappenziel denn dort ist es ruhiger, schöner, besinnlicher und meist günstiger.

Was ist mein Tipp für jene, die den Weg gehen werden?

Ultreja - es ist dein Weg! Geht den ganzen Weg - 800 Kilometer- wenn ihr euch hinterfragen wollt, wenn ihr eure Veränderung sucht und geht den Weg alleine. 

Wenn ihr mit Partnern, Freunden oder einer frisch gegründeten Pilgerfamilie geht, verschließt oder reduziert ihr eure Offenheit gegenüber zufälliger Gespräche und Erfahrungen.

Seit gerne alleine, gehr nur in eurer Geschwindigkeit (lasst euch nicht treiben!) und seit, offen für Kontakt und behaltet stets eure innersten Werte.

Hört auf euren Körper und gebt ihm Rast wenn er danach verlangt. Sofern diese Fähigkeit noch erlernt werden muss, könnt ihr euch mit folgenden Tipps zur Behandlung von Wasserblasen oder Knochenhautentzündung behelfen.

Gönnt euch eure Auszeit um die wertvollen Gespräche zu verarbeiten und unterstützt die Anderen. Denn der Weg gibt euch so unendlich viel zurück.

Was hat dich am meisten beeindruckt?

Eine ca. 30 Jährige Dame, sie hatte aufgrund einer Krankheit ein Bein verloren und ist mit dem verbliebenen und zwei Krücken über Stock und Stein gesprungen. Sie kam nur einen Tag nach mir in Santiago de Compostela an. 

Auch beeindruckt hat mich der „Butterflyeffekt“ man trifft viele Menschen, zufällig, willkürlich und oftmals nur für Minuten und dieser Zufall beeinflussen sie den weiteren Weg und das eigene Leben. Und man sieht sie alle wieder!

Mein Körper und meine Füße. Trotz Wasserblasen, Knochenhautentzündung - es ging immer weiter und ich bin stolz darauf, dass wir (Körper und Geist) alles gemeistert haben.

Die Zuverlässigkeit des Weges - die Freundin eines wichtigen Wanderfreundes ist sechs Tage bevor wir uns getrennt haben an Corona erkrankt. Wir hatten zur ansteckendsten Phase Kontakt und haben es zu spät erfahren um Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Da wir mehrere Tage gemeinsam auf dem Weg waren und viele Nächte in kleinen, gemeinsamen Zimmern verbracht haben, war mein Corona-Risiko kurz vor Santiago nicht unwesentlich. Als auch mein Freund an Corona erkrankte, haben wir weiterhin die Zeit gemeinsam verbracht - denn er hätte mich schon längst angesteckt. Dieser Kelch ist an mir vorüber gegangen - so haben es mir Selbsttests bestätigt - alles richtig gemacht - dem Leben vertrauen schenken!

Was braucht man für eine Pilgerreise?

So wenig wie Möglich - möglichst nur 7kg Gepäck (mit Wasser)! 1x Ultraleichtrucksack mit Bauchgurt (400 bis max. 1kg), 3 Paar Merino-Socken, 2x Nylonsocken, 3x Funktionsunterhosen, 3x Funktions-T-Shirt, 2x Funktionshose mit Zipoff (gleiches Modell), 1x Regenponcho (der den Rucksack überdeckt), 1x Regenhose, 1x wasserabweisende Wanderjacke mit herausnehmbarem Fleecepulli, 1x Mütze, 1x Funktionshandtuch, 1x Wanderschuhe (1,5 Nummern größer), 1x Rei aus der Tube, 1x Nachfüllpack Duschgelkonzentrat (dm), 1x Sonnencreme klein, 1x Voltaren Forte klein, 12 Tabletten Ibuprofen 400 mg, 1, Reisezahnbürste, Zahnpastadrops, 1x Deoroller, 1x Omnifix, 1x Betadine, 1x Tube Hirschtalg, 1x Tape, 6x Taschentücher, 1x Ohropax, 1x Ersatzakku (Ladekapazität 1-2 Ladungen aller Geräte), kurze Ladekabel, 1x Schnelladestecker mit drei Ausgängen. Stabile Plastikbeutel um alle Utensilien im Rucksack wasserdicht zu verstauen. 2x PET-Wasserflaschen vom Discounter (1 Liter), 

Budget: Hin- und Rückreise je 150,- Euro, mindestens 30,- Euro pro Tag (Übernachtung, Essen, Trinken). 4-6 Wochen Auszeit!

Rückflug mit Wanderstöcken

Zum Rückflug mit seinen Wanderstöcken kann man seinen Rucksack einfach mit dem Regenüberzug überziehen. Die Stöcke vollständig auseinandernehmen und im Innenraum des Rucksacks verstauen, alle Schnallen zusammenziehen und fest verschnüren. Ich habe meinen Rucksack mit 13,5 Kilogramm zusätzlich mit Klebeband fixiert und dann als Gepäck aufgegeben. So ist es kein Problem - es bedarf also keiner gesonderten Reisetasche. 

Wichtig, die Antworten gelten NUR für den „Camino Francés“ denn nur er hat eine so gut ausgebaute Infrastruktur (Herbergen in fast jedem Ort, Apotheken und Restaurants). Es kann dort fast alles bei Bedarf nachgekauft werden – daher bitte keine Bevorratung denn das ist überflüssiges Gewicht und das wird teuer bezahlt.

Solltet ihr Fragen, Feedback oder Anregungen haben, so könnt ihr euch sehr gerne melden: 004915209956400 auch gerne per WhatsApp.

Was ist meine berufliche Perspektive nach dem Weg?

Der aufmerksame Leser weiß es bestimmt. Ich habe mich nicht entschieden - wozu auch - sondern werde den Dingen ihren Lauf lassen. Ganz gleich ob eCommerce, agile Transformation, Tattoos oder Bücher schreiben. Ich werde mich von meinem Weg inspirieren lassen. Mein Weg wird mir das geben was ich brauche - ich kann nun darauf vertrauen und ich werde keine Entscheidung mit dem Kopf sondern lediglich mit dem Bauch treffen. Jeden Tag erneut!

Und dir liebe Unterstützerin mittelständischer Unternehmen vom Jakobsweg, ich hoffe ihr seid gut angekommen und falls du das hier liest, dann melde dich gerne – vielleicht können wir uns gegenseitig im Support des Mittelstandes beflügeln.

Euch allen ein dickes Dankeschön 🤍

Ich möchte mich bei allen Bedanken, die diesen Blog verfolgt haben. Es freut und ehrt mich sehr, dass ich den einen oder anderen damit inspirieren konnte und ihr Spaß am Lesen hattet. So wird es – durch den Blog beflügelt, zwei Gebirgstürmer rund um Aachen geben (Buen Camino) und ich hoffe, dass die geteilten Ereignisse auch beim ein oder anderen ein Anstoß, für die ein oder andere emotionale Regung oder die Hinterfragung der eigenen Perspektive war 🤍.

Danke liebe Pilgerfamilie und Pilgerfreunde, ihr alle wart und seit etwas besonderes und ich werde euch nie vergessen. Ihr habt mich bei diesem Teil meiner Transformation begleitet und mich stets unterstützt, indem ihr mir neue Wege gezeigt habt. Ihr habt mir durch die vielen Gespräche neue Perspektiven aufgezeigt und klargemacht, was das Wesentliche im Leben ist. Danke, dass man sich auf jeden von euch verlassen konnte 🤍.

Ganz besonders möchte ich mich bei meiner geliebten Sany bedanken. Sie hat zu Hause die Stellung gehalten, sich um die Kinder gekümmert und zusammen mit Werner Wasserschäden bekämpft. Sany hat mich darin bestärkt, die Ferne zu suchen ohne zu wissen wie sehr sich mein Leben dreht – das verdient meinen größten Respekt. Danke dir liebe Sany – ich liebe dich und danke, dass es uns gibt 🤍.

Danke auch unserer lieben Noemi, die ihre Mama und Paul liebe- und verständnisvoll unterstützt hat, mir das wichtigste Untensil meiner Reise geschenkt hat (den weltbesten Ultraleichtrucksack). Du bist ein tolles, großes Mädchen – bleib immer so wie du bist 🤍.

Danke lieber Paul für die zahlreichen Küsse aufs Telefon und dafür, dass du so brav auf mich verzichten konntest. Du bist ein toller Sohnemann und wirst es immer sein 🤍.

Danke dir, liebe Gabriele fürs mitfiebern. Danke für deine Aufmunterungen, Gedichte und konstruktiven Anregungen zwischendurch – es hat mich Stolz gemacht, dass ich dich ein wenig inspirieren konnte 🤍.

Danke liebe Christel, dass du mich so nimmst, wie ich bin und als Mutter mit mir gefiebert hast. Danke auch für deine Zweifel und Sorgen zu Beginn meiner Reise, sie haben mich zusätzlich bestärkt 🤍.

Danke liebe Alsdorfer Familie, danke liebe Luna-Bluna und Lilly-Brilli für die tolle Abschiedsfeier und die Geschenke, sowie das ganz besondere Buch mit so schönen Wünschen und Inspirationen. Schön, dass ihr stolz auf mich seid – aber ich bin einfach nur gewandert – jeden Tag, 20 Kilometer. Ihr wart stets ein wichtiger Teil meines Weges und werdet es immer sein 🤍.

Liebe Karin und lieber Werner, danke euch für die Unterstützung bei der Beseitigung des Wasserschadens und dafür, dass ihr immer für uns da seid. Danke, für eure große Hilfe. Ja, lieber Werner, der Camino hätte dir gut gefallen – du kannst ihn immer noch gehen. Und dir liebe Karin, danke für deine sorgsam gewählten Zeilen in meinem Schatzbuch – sie haben mich tief berührt 🤍.

Ein dickes Dankeschön an meinen Orthopäden, der mir vor 10 Wochen sagte,ich könne den Weg nicht gehen. Als ich ihm erklärte, dass ich auf jeden Fall gehen werde, erwiderte er perplex „wenn überhaupt dann mit 20 Kilogramm wenniger auf den Rippen“. Er hat den Stein ins rollen gebracht meine Ernähung zu überdenken. Ich habe dadurch in 1,5 Monaten 7 Kilogramm verloren – vor dem „Camino Francés“ und das hat gereicht 🤍.

Danke liebes Physiotherapeutenteam der Praxis „proaktiver“ in Alsdorf. Das Team hat mich spontan 4 Wochen lang gedehnt , gezogen und gestreckt und mich damit nach 20 Jahren der Starre beweglich gemacht. Sie haben meine Hüfte großartig gerichtet und mich mit Tipps zur Dehnung versorgt. Ich habe es geschafft 🤍.

Danke liebe Heidi Tassin „als Dame aus dem Internet“ (und der Realität) für deine wertvollen Tipps rund um die Wasserblasen, Knochenhautentzündung, das Wandern, die Herbergen und den Camino allgemein – du hast mir meinen Weg wesentlich geebnet und mich mit deiner Weltsicht inspiriert. Insbesondere danke für dein „u.A..“, ich wollte die letzten Tage weiterwandern – hatte die gewohnte Aktivität als Pilger im Visir und du hast mir eine Abkürzung vorgeschlagen. Auf meine Frage wohin ich dort wohl wandern kann, antwortest du mit „u.A.“ – genau, ich könnte auch einfach ich selbst sein und mich finden … u.A. … das war die bessere Option! Kombiniert mit den anderen Erfahrungen aus der letzten Herberge war dies ein wesentlicher Schlüssel zu mir selbst 🤍.

Danke liebe Gudrun für das Fernreiki das du dem ungläubigen Thomas gespendet hast. Ob es funktioniert hat, das kann ich – natürlich – nicht zweifelsfrei sagen. Und danke für dein Lachen – ich habe es bis hier gespürt 🤍.

Danke lieber Marcel, dass du unsere Familie unterstützt hast und die Reisen wesentlich vereinfachen konntest. Danke für deine Hilfe bei mir zu Haus 🤍.

Danke lieber Stefan für die tolle, gemeinsame Trainingszeit und unsere Freundschaft. Und danke für die reflektierten Korrekturen der Perspektiven. Bald geht es wieder an den Blausteinsee und zum wandern 🤍!

Danke lieber Kubi, dass du wieder ein Teil meines Lebens bist und danke für unsere lebenslange Freundschaft 🤍.

Danke an alle, die mich in meiner Reise unterstützt haben. Einmalig und Einzigartig! Und denkt darüber nach, euch selbst diese Erfahrung zu schenken 🤍!

Danke „Camino Francés“ 🤍!

Buen Camino!

#Tag 43: Krokodilstränen

Als ich das Frühstück genieße schreibt mir Heidi (meine Hospitalera aus dem Internet), dass ich es geschafft habe. Das ich jetzt den Camino wirklich lebe. „Du siehst und fühlst jetzt!“ und ja, etwas ist seit gestern Abend anders – irgendwie fühlt es sich gut und richtig an. Aber was ist es? Sie meint ich hätte gestern „erstmals anders geschrieben, nach außen orientiert – ich schreibe nicht mehr für andere, sondern für mich“ und sie hatte Tränen in den Augen, als sie das erkannte. Ich bin – so schreibt sie – „von ihrem Camino-Sorgenkind zum Camino-Botschafter geworden“. Ok – gut!

Aber was ist es, wovon sie da schreibt? Im ersten Moment habe ich keine Ahnung, denke kurz darüber nach und flüchte vom Frühstücksraum in mein Zimmer. Denn mir steigen die lang ersehnten Tränen in die Augen und ihr wisst – als Mann weint man nicht. So hetze ich – völlig überflüssig und albern – zum Strand und muss dabei immer wieder weinen. Ich vergesse sogar meine letzten Pflaster zum Schutz der Blasenrelikte, lasse meinen Rucksack und meine Stöcke ruhen, kein Tracker und keine Navigationsapp ich laufe los um mich auf die Klippen zu setzen. Nur meine Thermoskanne mit leckerem Tee habe ich dabei – aufs wesentliche reduziert – lasse ich mich ins Leben treiben und ich bin grenzenlos glücklich.

Meine lang ersehnten Krokodilstränen sprudeln wie aus dem Nichts – sie sind einfach da, streichen sanft meine Wangen hinab. Wie oft saß ich an der Kathedrale in Santiago, habe mir das Glück erwünscht, die Tränen der Freude herbeigesehnt, die dort andere Pilger verspürten. Ich wollte sie hinauspressen wie ein Hase seine braunen, kleinen Knödel. Aber sie kamen nicht. Jetzt – jetzt sind sie einfach da!

Ich bin wirklich da – am Ziel meiner Reise, da hat sie Recht!

Ich denke nach, was genau passiert ist und was sich verändert hat. Ich bin ohne jegliche Erwartung am vorletzten Tag meiner Reise durch eine Verkettung glücklicher Umstände an meiner so sehr ersehnten Veränderung meiner Lebensphilosophie angekommen.

„Ich bin ok und du bist ok“ – wie oft habe ich diesen Satz gehört. Jetzt nach über 800 Kilometern, am Ende der Welt, am Strand des Todes habe ich ihn wirklich verinnerlicht.

Was wäre nur, wenn Heidi und die anderen Empfehlungen in meiner Facebookgruppe nicht den Bus nach „Cee“ vorgeschlagen hätten, wenn ich mit dem falschen Bus nach „Muxia“ gefahren wäre, wenn mir „Peter“ aus Dänemark seinen Lieblingsweg durch die Klippen des Todes verschwiegen hätte, wenn er nicht seinen Jakobsweg der Herberge „opfern“ würde um dort einfach glücklich zu sein und die von „Lane“ empfohlene Herberge nicht mein Ort zum verweilen gewesen wäre? Der erste Abend hat rückblickend meine Zukunft geprägt und mich zu meinem inneren Frieden geführt. Was wäre wenn Louis, eine der 25 anderen Herbergen gewählt und nicht zur rechten Zeit in den Klippen hätte sagen können, dass der Weg durch Klippen bald einfacher wird? Es ist im Grunde egal – aber dennoch bemerkenswert – wie zuverlässig die Zahnräder des Lebens in sich greifen, wenn man sie greifen lässt.

Es ist egal, denn es ist passiert und es ist ohne mein zutun geschehen. Warum? Weil ich es ohne Erwartung geschehen lies – mein Leben, der Camino oder die Erlebnisse, die Menschen darauf, sie alle haben mir gegeben, was ich mir so sehr gewünscht habe. Ich kann die größte Transformation erleben – die meiner selbst.

Ich ruhe in mir, habe meinen inneren Frieden gefunden. Muss nichts machen, was ich nicht will um bei anderen Gefallen zu finden. Ich muss keine Wanderziele auf vorgegebenen Wegen finden, keine Städte mehr als Ziel bewandern. Ich muss nichts beweisen, mein Bauch, mein Gefühl entscheidet im hier und jetzt und wählt das, was gut für mich ist.

Dies ist der lang ersehnte Moment in dem ich mich mit Hochachtung schätze, mich und meine Bedürfnisse grenzenlos respektiere – der Moment an dem ich ich ich selbst bin. Der Moment an dem mein Herz entscheidet und das Glück und den Sonnenschein wählt.

Gestern habe ich es zitiert, heute verstanden und sage selbst: das Ende des Camino ist nur ein neuer Tag!

Was habe ich anders gemacht? Ich habe nicht mehr gesucht. Ich erwarte nicht, ich lasse die Veränderung geschehen und vertraue darauf. Ist es das? Ich glaube schon!

Ich möchte leben, meinem Lebensweg vertrauen und ihn gewähren lassen. Ich möchte mich im Strom des Lebens treiben sehen. Voller Glück und es anderen Menschen ermöglichen, etwas davon zurückzugeben, sich selbst zu sein - grenzenlos. 

So sitze ich stundenlang auf dem Fels und denke nach. Es ist schwer zu verstehen und noch schwerer in Worte zu fassen. Nach ca. 3 Stunden habe ich genug sinniert und breche auf. Ich verlasse meinen ganz persönlichen Ort.

Als ich den Weg vom Strand zur Herberge zurückgehe ertönt aus dem Wald eine Motorsäge. Jemand fällt auf „meinem Berg“ ganz offensichtlich Bäume – am Ostersonntag – willkommen im Leben – willkommen in Spanien.

Und genau in dem Moment als ich auf dem Hügel ankomme, startet ein Osterfeuerwerk – um 12:34 Uhr Mittags – anders, aber wunderschön.

Der magische Moment, mein inneres Spektakel, mein kleines persönliches Wunder, mein inneres Feuerwerk. Mein Weg – mein bewegendster Moment!

Versteht ihr was passiert? Ich komme schon wieder zur richtigen Zeit, zum perfekten Ort um an der puren Lebensfreude teilzuhaben. Das ist ein Wunder! Das ist der Moment an dem meine Krokodilstränen ungebremst sprudeln – mein unvergessliches, inneres Feuerwerk – mein ganz persönliches, inneres Spektakel. So unfassbar! Danke Spanien, danke Camino, danke an alle, die mich begleiten – und vor allem: danke Michael!

Am Ende der Welt ist auch mein Kilometerstein am Ende und zeigt Kilometer 0,000

Ich genieße den Morgen, trinke in der Herberge Tee und starte gegen 14:00 Uhr zum Leuchtturm. Ich verlasse das Haus. Etwas fehlt, ich prüfe meine Taschen und habe keine Maske dabei. Daher geht es ab ins Zimmer, an den gewohnten Orten finde ich sie nicht und durchsuche meinen Rucksack.

Und – als hätte es mich gesucht, als hätte es diesen Tag gewählt – halte ich mein Schatzbuch mit den Glückwünschen meiner Familie in den Händen. Was für ein ehrwürdiger Tag die letzten vielen Seiten meiner Familie zu lesen. Ich nehme es mit, auf meine letzten Schritte meines unvergesslichen Jakobsweges und lese es am Leuchtturm zu Ende – am Ende der Welt.

Danke meine liebe Familie – ich liebe euch! Es ist wunderschön was ihr für mich geschrieben habt. Ihr habt mein Herz berührt und es ist schön, dass es uns gibt.

Gegen Nachmittag trete ich den Rückweg an und wähle den Wald. Das ist gut, zunächst entdecke ich einen Ort für Camper mit der sicherlich beeindruckendsten Aussicht dieser Welt.

Lieber Willi, dieser Wegpunkt ist für dich. Camping am Ende der Welt!

Im Wald finde ich – ohne zu suchen – jadegrüne Steine (vermutlich Malachit) die mich stets an meinen Weg erinnern sollen. Besser gesagt, sie finden mich. Ich entdecke die schöne Natur und eine ganz besondere Aussicht auf meinen – sagen wir mal „Schicksalsberg“.

Danke Welt für diesen Tag. Nach über 800 Kilometern, zahlreichen Blasen, Knochenhautentzündung und allerlei anderen, was man braucht um auf seinen Körper zu hören bin ich da! Mein Prozess der Transformation hat erfolgreich begonnen! Danke Camino! Buen Camino!

#Tag 42: Adrenalin

Heute geht über die Klippen an der „Costa de la muerte“ ein Abschnitt mit dem imposanten Namen „Küste des Todes“. Was will einem da schon wiederfahren? Am Ende der Welt auf der Küste des Todes.

Der Name kommt von den starken Unterströmungen die immer wieder zu Todesfällen führen. Wird man von der Küste des Todes abgetrieben, kommt gewiss der Tod. Es folgen lange Küstenabschnitte aus denen es in der Tat kein Entrinnen gibt – zu steil und eine wirklich tosende Brandung sind Garant für einen ungesunden Schleudergang.

Mein Tagesziel ist ein kleiner, verlassener Strand – der „Arnela Beach“ – mit einer kleinen Höhle.

Heute habe ich quasi Entjungferung – es ist das erste Mal seit 42 Tagen, dass ich ohne „schweres“ Gepäck unterwegs bin. Es fühlt sich seltsam an, man ist leicht, schnell und ungebremst – als hätte man Flügel. Damit ich meine Flüssigkeit für die Wanderung nicht auf Händen tragen muss, habe mir in der Herberge einen Sportbeutel geborgt. Darin kläppern Thermoskanne, Wasserflasche und eine Dose Monster lautstark vor sich hin.

Auf den ersten Felsen stellt sich ein mulmiges Gefühl ein, ich kann nicht einschätzen wie schwierig der Weg in der Todeszone ist. Ich weiß nur von unserem Dänen, dass er sehr herausfordernd sei und den Beinen alles abverlangt. Nun gut, Steigungen und Höhenmeter sind meine Wasserblasen zwischenzeitlich gewohnt.

Ich wähle stets den schönsten Weg, also möglichst weit außen an den Felswänden und werde mit atemberaubender Natur belohnt. Und so kommt es wie es kommen muss – wer schön sehen will, muss leiden.

Neben meinen Gebeinen geht es teilweise so steil hinunter, dass ich mich ausschließlich auf den Weg konzentrieren muss. Quasi mein erzwungener Tunnelblick, d.h. jeder Stockeinsatz, jeder Tritt wird akribisch vor der Umsetzung überprüft.

In der Mitte des ca 6 Kilometer langen Küstenabschnittes kommt meine Mutprobe. Es geht wirklich steil in die brausende Brandung hinab und man muss große Steine auf schmalen Pfaden überwinden. Ich nähere mich meinem Grenzbereich – dem Punkt, wo ich darüber nachdenke umzukehren, da die Hürden für mich immer unüberwindbar werden. Die Brandung selbst – tief und mächtig – unterstreicht die Dramatik passend.

Was ist die Alternative? Die ganzen Felsen wieder hinaufklettern und den ganzen langen Abschnitt auf anderer Höhe erneut bewältigen? Keine gute Option und so setze ich mich auf meinen Hosenboden und klettere auf allen Vieren die restlichen Felsen hinab.

Der fliegende Mexikaner – welch beeindruckende Pose.

Die Flucht nach vorne war die richtige Entscheidung, denn nur ein paar Felsvorsprünge weiter treffe ich auf Louis – er ist auf dem Rückweg – und berichtet, dass es in Kürze einfacher wird. Das sind gute Aussichten!

Louis ein ehemaliger Anwalt aus Mexiko City. Er wird den Camino noch einen weiteren Monat leben und entscheidet jeden Tag neu. Er geniest die Zeit mit sich selbst – ein ganz besonders wundervoller Mensch. Danke Louis für deine entspannte und liebenswerte Art.

Der Weg ist auf bemerkenswerte Weise ermüdend und nach vier Stunden und unzähligen Abbiegungen durch „oh – eine Blume“, „oh – weitere Felsen“ oder „oh – ein Abhang“ ist der Strand in Sicht.

Wunderschön und (fast) Menschenleer. Es geht ein letztes mal sehr steil über Felsen hinunter – oder alternativ durch dorniges Gebüsch. Ich wähle das Gebüsch und mache erst mal eine lange Pause.

Ich bin wahrlich stolz auf mich, da ich auch die „Klippen des Todes“ überstanden habe. Und nein, so schlimm waren sie nicht – für mich jedoch sehr wohl. Und so trete ich mit Stolz geschwellter Brust den langweiligen Heimweg an und trinke währenddessen den Rest meiner Wasserflaschen.

Auf dem Heimweg bin ich wirklich ermüdet. Mag nicht mehr gehen und beschließe noch einen Tag in der Herberge zu bleiben. Ich will morgen nur noch zum Leuchtturm gehen – ein kleiner Spaziergang zum Abschied. Es war schön und ist nun genug. Mein Körper ruft nach Wanderpause.

Am Abend sind wir ein neuer, bunt zusammengewürfelter Haufen und zumindest ein Teil der Gruppe eilt nach dem verspäteten Abendessen zum Sonnenuntergang. Die Männer eilen zur Sonne, während die vermeintlich romatischeren Damen in der Herberge verbleiben.

Es ist erstaunlich wie gut mir diese sehr einfache, günstige aber unbeschreiblich leckere vegane Küche schmeckt. Heute gibt es Reis mit Pilzen in einer Cremesauce. Danach Bratkartoffel mit Paprika aus dem Ofen mit Olivenöl und frischen Gewürzen. Eigentlich nur belanglose Beilagen, aber so unbeschreiblich intensiv, anders schmeckend und so lecker, dass es keinem Fleisch bedarf.

Interessant ist, dass es heute Abend keine intensiven Geschichten gibt – keine neuen Perspektiven. Es ist der gleiche Ort, die gleiche Herberge, der gleiche Weg, aber heute sind mehr Induviduen da, die nach einer Osterparty suchen und den Camino auf andere Art verstanden haben. Alles ist gut und ich gehe als einer der Ersten, zufrieden und vom Tag erfüllt ins Bett.

Heute – so scheint es, als würde sich der Camino auf allen Ebenen verabschieden. Ich kann loslassen, ich habe ihn wirklich gelebt – Buen Camino!

In der Nähe schießen sie Böller in die Nacht – Kanonenschläge – deren Druck spürbar ist. Die Piraten kommen zurück – zur Küste des Todes. Gute Nacht Welt!

#Tag 37: Kilometerstein 33,664

Heute Morgen schüttet es aus Gießkannen und ich habe mich für 9:00 Uhr mit James verabredet. Das war eine gute Idee, denn ab 9:00 Uhr sollte es nicht mehr regnen – natürlich 😜 – und die Massen sind weit voraus.

Nach 767 Kilometern wird die Notration aus dem Alsdorfer Kaufland verzehrt

Durch die intensive Geschmackskultur habe ich in den letzten zwei Wochen an Gewicht zugelegt – ich bin eben ein Genussmensch. Ich sehe es an meinen Backen und an meinem Bauch und möchte jetzt in die neue Realität zurückkehren und alles auf ein gesundes Maß eindampfen. Daher gibt es zum Frühstück ein Monster, zwei Äpfel und einen Powersnack.

Eukalyptusbäume sind schnellwachsend und können bereits nach 10 Jahren für die Papierindustrie geerntet werden (sonstige Bäume brauchen 30 Jahre). Der Anbau neuer Eukalyptusbäume ist jedoch seit Juli 2021 verboten. Warum? Die abfallenden Rinden verrotten nicht, sind mit Öl getränkt und steigern dadurch die Brandgefahr erheblich. Zudem senken sie den Grundwasserspiegel und rauben allen anderen Bäumen die Feuchtigkeit.

Beim Kilometerstein 33,664 km ist es soweit, ich treffe Heidi – die gute Seele aus dem Internet – erlebe sie erstmals außerhalb der Virtualität.

Als ich in ihre Herberge geführt werde, klingelt das Telefon, eine Maria reserviert für morgen einen Schlafplatz – wie sich herausstellt ist es meine Maria. Ist das nicht verrückt?

Heidi ist eine ehemalige Steuer- und Unternehmensberaterin aus Österreich, die anschließend als Friedensdienerin in Bosnien/Kroatien bedürftige Menschen unterstützt hat und anschließend auf Mallorca eine erfolgreiche Glaserei betrieben hat.

Seit 2012 wohnt sie mit ihrem Rolf – der hier zum Cowboy transformierte – in „As Quintas“ an ihrem magischen Ort. Sie nennt ihn „Tabernavella, Heidi‘s place!“ den sie mit viel Liebe im Detail nach und nach geschaffen haben. Sie verteilt hier ihre italienische Lebensfreude und leckere Speisen als Pilger-Mama an ihre Schützlinge und erntet dafür Zufriedenheit und täglich neue Lebensgeschichten.

Heidi und Rolf haben alles selbst gebaut. Jeder Tisch, die Küche, der Kamin, das Badezimmer, die Lampen, … alles haben sie mit ihren Händen selbst geschaffen. Wenn sie mit ihren Baukünsten und ihrem Latein am Ende waren, kamen zur richtigen Zeit die richtigen Pilger vorüber und so wurde die Elektrik zur deutschen Qualität und die Bäume fachgerecht geschnitten. Das Ergebnis ist wunderschön, voller positiver Energie und man fühlt sich unendlich willkommen.

Der Rest der heutigen Pilgergruppe wird den „Camino Primitovo“ mit 310 sehr herausfordernder Kilometern in 11 Tagen morgen gemeinsam abschließen

Ursprünglich sollte es keine Herberge sein, aber bedürftige Pilger bettelten immer wieder um Unterschlupf, wurden in den Privatgemächern verteilt und so sprach es sich nach und nach rum, dass hier das Glück willkommen ist. Kurze Zeit später klopften die Autoren bekannter Reiseführer an und sorgten durch dezente Hinweise in ihren Reiseführern dafür, dass der Umbau immer mehr zur Herberge vollzogen werden musste.

Und natürlich wird stets weiter gebaut, sofern es spanische Behörden nicht verunmöglichen. Denn der Jakobsweg ist Weltkulturerbe und 14 m links und rechts davon sind besonders geschützt.

Ob das Modell überall funktioniert frage ich sie? Nein, denn am Ende des Caminos gibt es viele Pilger die aus Dankbarkeit gerne etwas zurückgeben. Es ist jedoch kein Business Model (Kopfsache) sondern ihre Lebensphilosophie (Bauchgefühl). Das ist einzigartig in dieser Form.

Wir sprechen darüber, welch positive Effekte der Camino mit sich bringt und das ich auf deren Kontinuität hoffe. Ernüchternd stellt Heidi dazu fest, dass die alte Welt einen schnell wieder in ihren Bann ziehen wird. Man muss täglich sensibel auf seinen Körper achten, aktiv daran arbeiten und innehalten – wenn nicht – dann holt einen der Camino erfahrungsgemäß zurück.

Sie stellt zudem fest, dass jede Veränderung nur den ersten Schritt bedarf und sich dann der Weg von alleine ebnet. Wenn man den Weg mit seinem Kopf durchsetzen will, wird es schwer. Nur wenn man nichts erwartet, bekommt man genau das, was man braucht.

Im Kopf - sagt Heidi - lebt die Gesellschaft, nur der Bauch weiß was man wirklich braucht.

Das hört sich esoterisch an, aber ich denke daran, dass ich viele Tage eine Wolke in Herzform für meine Sany am Himmel aktiv erwartet (quasi als Test) gesucht habe – erfolglos. Dann saß ich auf einem Stein, blickte ohne Erwartung nach oben und da war das Herz … seltsam.

Ein lang gesuchtes Herz für meine Sany ♥️

Heidi erzählt mir auch von „Bestellungen beim Universum“ und ich lausche zweifelnd (Gudrun kennt dies und wird jetzt lauthals in ihren Kaffee hineinlachen). Aber sie belegt mir mit vielen persönlich erlebten Erfahrungen, dass es für sie funktioniert. So kam der ersehnte Baumschneider, ein deutscher Elektriker, ein bezahlbares Haus auf Mallorca … ihre Alpakas und das für sie perfekte Grundstück – für das sie mehrere Caminos kämpfte. Alles zur rechten Zeit. Die „Bestellungen“ schreibt man laut Heidi positiv formuliert (keine Verneinung, kein „aber“, …) auf, liest sie durch, entsorgt den Zettel und muss dann die „Bestellung“ vergessen. Ihr hat es stets geholfen. Nun, ich bin bei dergleichen Dingen der ungläubige Thomas.

Jetzt ein kleiner Themenschwenk, denn ich nutze die Zeit mit Heidi auch für offene Fragen. Z.B. was hat die Kirche mit dem Ku-Klux-Clan zu tun.

Osterprozession der Sünder – hier ein Video dazu!

Die Mitgliedschaften in kirchlichen Gemeinschaften werden in Spanien vererbt und sind dort eine Ehre. Zugehörige Sünder müssen zur Osterprozession bzw. in der Karwoche zur Buße sehr schwere Marienstatuen durchs Dorf tragen. Um nicht erkannt zu werden, müssen sie Spitze- oder Henkersmasken tragen – wir kennen sie von Ku-Klux-Clan-Masken.

Wozu sind die kleinen Häuschen auf vielen Grundstücken? Sie dienen der Trocknung von Mais und sind geschütztes Weltkulturerbe.

Die Fortsetzung des geliebten Kunstwerkes. Eine gut inszenierte Bierwerbung

Danke liebe Heidi und lieber Rolf (aus Deutschland, Solingen) für diesen unvergesslichen Tag und die wahnsinnig köstlichen Speisen. Buen Camino!


Noch eine kleine Geschichte des Weges zum Schluss des heutigen Tages.

Vor ein paar Tagen erzählte mir jemand, dass ein Mann mit zwei Hunden unterwegs ist (ich habe ihn ebenfalls gesehen). Er kommt aus der Ukraine und hat durch den Krieg sein Bauernhof, seine Kühe und sein ganzes Hab und Gut verloren. Da er nicht weiter wusste, hat er sich wohl auf den Jakobsweg gemacht. Alles was er mit sich trägt, ist sein einziger Besitz. Er sucht einen Job auf einem Bauernhof und will später irgendwann zurückkehren. Ich frage mich, was man macht, wenn man sein ganzes Hab und Gut verloren hat? Geht man dann wandern? Nun ist es eine sehr valide Option. Ich wünsche ihm und seinen Hunden alles Glück der Welt.

#Tag 35: die Begegnung mit der dritten Art

Wegen der vielen Pausen haben wir gestern sehr spät in der Herberge „eingecheckt“. Dann wurde flott geduscht, in Windeseile die Wäsche in der Maschine gewaschen, parallel fürstlich gespeist und dann den Trocknungsprozess unserer Kleidung gestartet. Ich habe dieser Maschinenwäsche alles anvertraut was einer gründlichen Reinigung bedurfte – alles. Das Problem: die Waschmaschine hat nicht geschleudert, die Wäsche war triefnass und somit wurde der Trockner unser nächtlichen Joker.

Nun, was soll ich sagen? Wir wurden am Morgen zutiefst enttäuscht, denn der Effekt des Jokers blieb gänzlich aus – die Wäsche war genauso nass, wie am Abend zuvor. So haben wir weitere vier Euro im Schlund des einarmigen Trocken-Banditen versenkt und einen weiteres Glücksspiel gestartet. Die nachgelagerten 40 Minuten der Hoffnung haben wir genutzt um die Füße zu versorgen – leider zwecklos. Die Wäsche blieb nass und so hatte ich meinen einzigen Pulli bei nur sechs Grad Außentemperatur untragbar. Das ist maximale Frustration!

Was nun? Ich trage ein T-Shirt und das vor kurzem gekaufte Langarmshirt unter meiner Jacke – mehr habe ich nicht – und die nasse Wäsche wird bei Maria in den Rucksack gepackt. Sie nutzt zur Zeit zur Entlastung ihrer Knie einen Shuttleservice (5 Euro) fürs Gepäck. Dann schnell fertig gepackt und endlich – vamos – los geht’s.

Zu meinem Erstaunen muss ich nicht frieren, im Gegenteil, ich schwitze was das Zeug hält.

Heute geht es 24 Kilometer von „Portomarin“ nach „Palas de Rai“. Die Sonne scheint, die Laune ist wegen der morgendlichen Frustration gedämpft und dann kommt sie – die Begegnung mit der dritten Art.

Überall aus den umliegenden Häusern strömen Pilger auf die Straße, nur einen kleinen Teil davon hatten wir bereits gestern gesehen. Es werden mehr, immer mehr und mehr. Wo kommen sie nur her? Es sind so viele, dass sie unmöglich alle in den Herbergen nächtigen konnten. Es muss dort ein Portal zu einer anderen Welt geben – wie auch immer – es ist offen.

Alle laufen in die gleiche Richtung und nach einer Stunde durch den Wald stelle ich erneut fest, dass es sich unweigerlich um Zombies handeln muss. Warum? Sie schweben mit hoher Geschwindigkeit, seltsam duftend (Parfüm bei Pilgern?) und starrem Blick auf den Boden grunzend vorüber. Dabei versuchen sie jegliche Geste der Interaktion zu vermeiden – vermutlich um ihre Tarnung nicht zu gefährden. Kein Augenkontakt, kein Lächeln und keinesfalls ein „Buen Camino“. Es scheint als können sie nicht sprechen oder gar eigenständig Denken und so rotten sie sich immer wieder um ihren Anführer zusammen.

„The Walking Pilgrim“ der neuste Hit von AMC-Studios

Neben den schier endlosen Zombierotten fahren an der nahe gelegenen Straße überfüllte Busse und Taxen vorüber. Sie Hupen beim vorbeifahren und lachen sich dabei vermutlich ins Fäustchen. Es gibt sie also wirklich die Schnorrer der „Compostela“.

Vereinzelt blüht das pure Leben zwischen all den Untoten auf. Es sind häufig Gruppen spanischer Jugendlicher – vermutlich Schulklassen – sie hören laut Musik, bleiben abrupt mitten auf dem Weg stehen und fangen an zu tanzen. Sie sind unendlich sympathisch, freundlich und zeigen uns – das Leben, hier und jetzt ist wunderschön. Sie haben meine Seele berührt und mir steigen Freudentränen ins Gesicht. Danke!

Nach knapp 9 Kilometer kommen wir an die erste Möglichkeit des Tages für ein Frühstück. Üblicher Weise ist die erste Lokalität durch eingekehrte Zombies belagert, aber sie sind just vor uns weitergegrunzt. Wir konnten sie gerade noch sehen und hören – grunz, grunz.

Also bleiben wir hier und kehren ein, ein Anblick der Verwüstung auf den Tischen und wieder – ein Lichtblick. An einem Tisch sitzt James – wild winkend – und bei ihm der nette Don Quijotte mit seiner koreanischen Bekannten. Wir gesellen uns dazu haben Spaß, trinken Kaffee und essen das übliche Baguette – der Tag ist gerettet.

Als wir wieder Aufbrechen scheint die Sonne und es ist warm, die Massen sind weg und es sind nur noch viele einzelne Pilger unterwegs.

Gegen Nachmittag treffen wir eine Dame vom Vortag. Sie macht die letzten 100 Kilometer des „Camino Francés“ als Probelauf. Sie will testen wie es ist, ob es mit dem Wandern klappt und was es bringt.

Meine Erfahrungen der inzwischen über 700 Kilometer Fußmarsch hatte ich ihr gestern schon gesteckt und so springen wir direkt ins Eingemachte.

Sie erzählt mir von ihrem bisherigen Leben: sie hat zeitlebens für andere Gesorgt, ist in die Alkoholsucht geflüchtet und hat sich selbst nie gekannt. Irgendwann hat sie die Veränderung gewählt, ihre Ehe aufgekündigt und dem Alkohol entsagt – heute ist ihr dritter Jahrestag – und sie ist glücklich. Wow – was für eine starke Persönlichkeit.

Geschichten wie diese sind es, die den „Camino Francés“ ausmachen – sie sind der eigentliche Wert des Weges.

Man lebt in einer ungewohnten Anonymität - trifft völlig unbekannte Menschen, schüttet mal eben die Persönlichkeit vollständig aus, bekommt Feedback, spricht über andere Perspektiven, hinterfragt sich selbst und zieht angereichert weiter. 

Was ein grandioses Finale. Buen Camino!

#Tag 33: in jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Mein liebster Paulemann, die verrückte Kuh ist für dich ♥️ ich liebe dich ♥️

Wir verlassen unsere Herberge gegen 8:00 Uhr und gehen zum Frühstück in eine Bar. Noch während wir die Karte im Schaukasten studieren, wird von innen die Türe aufgerissen – unsere Engländerin „Veronika“ steht vor uns und plappert wie ein Wasserfall auf uns ein. Sie muss die ganze Nacht ein Manuskript für diesen Empfang ausgearbeitet haben – grandios – jetzt sind wir wach. Sie erzählt, dass die Dame aus Venezuela tatsächlich „meine“ Maria ist. Maria von der ersten Pilgerfamilie – wie schön. Wir treten ein und noch bevor wir unseren Platz eingenommen haben, fällt mir jemand von hinten um den Hals – Maria.

Wir umarmen uns und freuen uns riesig über unser Wiedersehen. Anschließend erzählen wir uns in der eigenen Landessprache von den letzten Tagen. Erst als das Gesicht gegenüber fragend versteinert, fällt uns ein, dass wir eine kommunikative Barriere haben. Egal, wir freuen uns!

Sowohl Veronika wie auch Maria verlassen die Bar und ziehen getrennt voneinander los – wir Frühstücken. Es gibt wie immer – Baguette, Olivenöl, Tomaten mit Kaffee.

Während sich die Ereignisse überschlagen, berät James entspannt mit seiner Freundin „Kim“ das weitere Vorgehen.

Das Problem: Kim ist krank, kann nicht weiterwandern und zudem sind die hiesigen Maßnahmen zur Covid-Prävention unklar. Sie woll(t)en sich eigentlich heute – nach sieben Tagen blasenbedingter Pause – wieder sehen und so hatte Kim ein gemeinsames Hotelzimmer gebucht.

Ich ziehe meinen wertvollsten Insider-Joker und rufe Heidi an. Natürlich ist sie bestens über spanische Gesundheitsverhältnisse informiert und klärt uns wohlwollend auf: bei Grippe-Symptomen geht man ins „Centro de Salud“ und macht einen Test. Ist dieser positiv und hat man nur leichte Symptome, kann man nach drei Tagen Quarantäne weiter wandern. Ok, das hört sich komisch an ?/!

Zudem hat die Regierung in Galizien für alle Pilger eine für diese kostenlose Versicherung abgeschlossen. Um diese in Anspruch zu nehmen, muss man sich präventiv innerhalb der ersten 24 Stunden nach Eintritt in Galizien unter folgendem Formular registrieren. Gesagt getan – und nun sind wir für den schlimmsten Fall gewappnet. Danke Heidi, für die sensationelle Unterstützung!

Nach dem Frühstück werden die Stiefel geschnürt und dann geht es los. Denn wir wollen die letzte Etappe des bisherigen „Camino Francés“ in vollen Zügen genießen – morgen schon startet die Massenveranstaltung.

Wir laufen durch wunderschöne Wälder, nehmen sehr steile Abstiege – ein Gruß an die offenen Füße – und bis zum Abend habe ich sicherlich jeden Baum dokumentiert. Währenddessen haben wir spannende Gespräche wie z.B. darüber, dass James sehr wenig fotografiert.

Woher rührt der Eifer, jeglichen Moment zu dokumentieren? Ist es Angst zu vergessen?

James macht kaum Fotos „weil er sie ohnehin nie wieder sichtet“, sagt er. Er erzählt von Fotos auf Datenträgern, die er nicht mehr abspielen kann und anderen, die er nie wieder angesehen hat. Alte Fotos aus jungen Jahren hat er Freunden gezeigt und sie habe sie flüchtig überflogen.

Nun, er hat Recht – das alles ist mir nicht unbekannt. Auch ich greife nur selten auf meine Foto-Dokumentation zurück. Woher kommt dieser Eifer? Ich weiß es nicht und mache folglich erst mal ein Foto – zufällig war ein weiterer Baum in Sicht.

Dann wechseln wir das Thema und gehen ins Eingemachte. Warum werden viele Pilger des wanderns süchtig. Sie geben das bisherige Leben auf, sogar ihre Freunde und sind nur noch Unterwegs.

Dabei fällt mir ein dreifacher Vater ein, der ohne Geld den Jakobsweg durchwandert. Danach zieht es ihn durch weitere Länder, bis er nach 3,5 Jahren zu seiner Familie zurückkehren wird. Ob er auch mal an seine Kinder und Ehefrau gedacht hat?

Ich frage James, ob diese Menschen wohl vor etwas davonlaufen? Er verneint. Bei seiner Arbeit in den Nationalparks musste er 4 Tage der Woche beruflich wandern. An den Wochenenden haben sie das Zelt gepackt und sind gemeinsam auf die Gipfel gestürmt. Als gebürtiger New Yorker hat es ihn schon immer in die Natur gezogen.

Er hatte alle Bücher von Hermann Hesse und erzählt von dessen „Hamsterrad“ – dem geradlinigen Leben einer gleichförmigen Gesellschaft. Wir ergänzen die Hypothese um einen kulturellen und daher gesellschaftlichen Druck. Ist es das, was uns gleichförmig formt oder ist es einfach nur die Gewohnheit und der Schutz der eigenen Komfortzone?

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ (Hermann Hesse).
Dabei ist die Lösung so nah: es ist das Neue - was den Geist treibt. Wenn man nicht stillsteht kommen die Abenteuer von alleine. Wenn man in die Natur geht, passieren unerwartete Dinge, Erlebnisse und Abenteuer. Man Lebt sein Leben - im hier und jetzt. 

Ich sinniere darüber wieviele Menschen alltäglich die Abenteuer anderer Menschen vom Sofa betrachten. Sie treibt die Sehnsucht nach Abenteuer, aber der Ruf des Sofas – oder anders gesagt „die Sicherheit der Komfortzone“ wiegt schwer.

Schön, dass ich einen neuen Weg meiner Zufriedenheit gefunden habe. Ich will auch zukünftig wandern und die Natur genießen, sie selbst erleben und viele Wochenenden mit meiner Familie in Freiheit verbringen.

Wandern wird zur Passion.

Das „Wandern wird zur Passion.“ sagt James.

Es geht darum den inneren Frieden zu finden. 

Doch was ist der innere Frieden? Er meint dieser sei individuell und bei jeder Person anders.

Ich habe für mich auf dem Weg meinen inneren Frieden gefunden. Ich habe ihn dann, wenn ich mit mir selbst durch die Natur schreite und die Schönheit der Natur entdecke, viele kleine Besonderheiten und dabei die Ruhe genieße. Wenn ich innehalten kann, Fotos machen oder meine Gedanken notieren kann. Bei völliger Unabhängigkeit habe ich für mich, meinen inneren Frieden.

Denn inneren Frieden erlebt man, wenn man auf sich selbst achtet und mit dem Körper in Einklang ist. Es ist der Moment bei dem alles zur Persönlichkeit deren Bedürfnisse passt - der stimmige und ausgeglichene Moment.

Während wir uns gegenseitig mit unseren Gedanken befruchten haben wir 11 Kilometer von unseren 21 Kilometern geschafft – ohne eine einzige Pause. Und so kommt der Moment, wo wir ohne große Worte getrennte Wege gehen. Noch ein letztes Mal für die nächsten Tage die Einsamkeit genießen.

Zwei weitere Dörfer schmerzen die Füße und ich kehre in eine Bar ein, um einen „Cafe Amerikano“ zu gustieren. Und wie es der Camino will, wen treffe ich wieder? Maria – und so wandern wir gemeinsam der Stadt „Sarria“ entgegen. Danke für die gemeinsame Zeit – Buen Camino!

#Tag 31: Gipfelstürmer

James und ich starten den Tag gemeinsam und bekommen Gesellschaft von Veronika. Sie ist eine nette, zerstreute und vor allem gesprächige Dame. Damit ist für ausreichend Unterhaltung gesorgt.

Wir beginnen die zweitschwierigste Etappe auf dem „Camino Francés“. Die letzten 6 der insgesamt 18 Kilometer bringen 630 Höhenmeter mit sich – über Stock und Stein. Ich liebe diesen Weg durch die Natur und erfreue mich über die endlose Weitsicht – ein Traum!

Zur Steigerung der Gelingsicherheit, habe ich an die Worte von Hugo gedacht: „mach regelmäßig und vor allem viele Pausen“ sagte er. Gesagt getan und so war der Weg ohne Probleme zu bewältigen.

Zeitweise laufen wir alleine und tauschen Lebenserfahrungen aus. So sprechen wir z.B. darüber, dass viele Menschen ihr Leben nicht wirklich nutzen – nicht Leben – und sich eben dieses für die Rente aufsparen.

Mann erkennt sie daran, dass sie gerne von ihrer Jugend erzählen „wo sie einst frei und wild waren und Abenteuer erlebten“. Warum endet dieses Leben mit der Jugend?

Wir können jeden Tag für uns selbst neu entscheiden, ein erlebnisreiches Leben wählen und müssen dies nicht bis zur Rente aufbewahren. Das Leben ist zu kurz um es nicht zu Leben!
Ich muss wohl nicht mehr frieren: James hat am Wegesrand Handschuhe für mich gefunden

Wir sprechen auch über Führungsstile und jene Menschen, die mit Macht regieren und stets bemüht sind, diese zu erhalten. James hat früher in Nationalparks Projekte geleitet und stets in der geplanten Zeit realisiert. Authoritäre Führungskräfte haben seine Kompetenz stets gefürchtet und aktiv untergraben.

Später ist er in den Staatsdienst in die Erforschung der Nationalparks gewechselt. Dort musste kein wesentliches Arbeitsergebis abgeliefert werden – alles und jeder hatte unbegrenzt Zeit – und das war frustrierend und passte nicht in sein wertstiftendes Weltbild

Nun zurück auf den Camino. Nach den ersten 3 anstrengenden Kilometern des Gipfelsturmes trifft man auf ein kleines Dorf mit einer nagelneuen, wunderschönen Herberge mit Restaurant. Ich nutze die Chance und unterhalte mich mit dem Besitzer der Herberge – ein ehemaliger Fotograf aus Madrid.

Letztes Jahr hat er seinen Camino beendet und wollte sein Leben verändern. Jetzt hat er eine Herberge, hilft den Wanderern wenn möglich und steht stets mit Rat und Tat beiseite. Die Häuser in Spanien kosten schätzungsweise zwischen 10.000 bis 50.000 Euro – zuzüglich der Restauration – die ein vielfaches verschlingt.

Ob er Anschluss in Dorf finden konnte? Nun in seinem Dorf hat im Winter alles geschlossen und so ist es sein Vorteil, dass er als einzig geöffnete Herberge alle Besucher aufnehmen und im Restaurant bedienen kann.

Ich treffe bei meiner nächsten Rast eine 72 jährige Dame die ihren Gepäckwagen hinter sich herzieht. Sie erzählt mir, dass sie im Dezember letzten Jahres in Österreich (Wien) gestartet ist und bislang 2.500 Kilometer gewandert ist. Stolze 105 Tage ist sie nun auf den Beinen.

Sie war einst Fernfahrerin und hatte den „Camino Portugues“ ihren beiden Enkeln zum 12- Jährigen Geburtstag geschenkt und sie auf dem Weg in alle Entscheidungen eingebunden – ist das nicht schön? Dann berichtet sie, von deren Ankunft in „Santiago de Compostela“ und sie meint, es sei etwas unbeschreibliches – man sitzt vor der Kathedrale auf einem Stein und betrachtet sie Stundenlang. Das Gefühl am Ziel angekommen zu sein ist unbeschreiblich.

Ich frage sie nach ihren größten Herausforderungen und sie berichtet gerne. Das schwierigste waren ihre Passagen im Winter durch Gebiete ohne Restaurants und Herbergen – sie konnte keine Rast machen, da es keine warmen Räume gab. So musste sie 30 Kilometer ohne Rast laufen. Sie plant ihre Tage inzwischen nicht mehr, weil jegliche Planung von der Realität überholt wird. Planung ist obsolet – d.h. auch hier findet sich die Agilität wieder. Mein tiefster Respekt dieser netten Dame!

Nach drei Pausen bin ich am Gipfel angekommen. Ich kann es nicht in Worte fassen, dieses unbeschreibliche Gefühl nach 31 Tagen Wanderung, mit inzwischen ca. 640 km Strecke, heute die zweitschwierigste Passage erfolgreich gemeistert zu haben.

Gestern Abend noch, habe ich beim Anblick meiner Blasen über eine Zwangspause nachgedacht und heute lief es wie am Schnürchen. Weder die offenen noch die prall gefüllten Blasen haben mich belästigt. Ich glaube, es ist alles reine Kopfsache und die ist leider schwer steuerbar.

Endlich in Galizia angekommen – köstliche Speisen und besonders leckerer Oktopus sind hier vorgegeben

Ist es nicht ein kleines Wunder, was der Körper zu leisten und der Geist für Potentiale freizusetzen vermag? Diese letzte körperliche Herausforderung vor „Santiago de Compostela“ geschafft zu haben, stählt mich für meine Zukunft und ich weiß, dass ich alles schaffen kann – wenn ich es nur will.

Man benötigt nur drei Dinge im Leben - „wollen“ und „machen“ und „auf sich achten“. Der Fortschritt ist der Freund des Glücks!

#Tag 26: die Droge „Leben“

Wir haben die Nacht zu dritt in einem vielleicht 15 m² großen Raum verbracht und das wird nach dem Aufstehen zum Problem. Alle packen zeitgleich ihren Rucksack und cremen Ihre zahlreichen Wehwehchen an den Füßen und Beinen ein. Ein Gedränge wie einst im Schulbus.

Ich denke derweil über meine Herausforderungen nach. Schon interessant, welch tragende Rolle die Füße einnehmen – das ganze Leben waren sie weitgehend ungeachter ein Bestandteil des Körpers. Jetzt sind sie das elementare Puzzlestück des Camino. Der linke Fuß passt nicht, vermutlich wieder Wasser in einer der Blasen. Neben dem Flies kommt nachträglich eine Schicht Schaumstoff darunter – was nicht passt, wird passend gemacht.

Wir verlassen San Martin und brechen auf – 26km stehen uns bevor.

Wenig später sind Maria und ich auf dem Weg. Ich sage Maria – die einstige Rakete aus der Pilgerfamilie – das sie sehr gerne schneller laufen kann und nicht aus Höflichkeit sich zu meiner Langsamkeit gesellen muss. Sie schreibt mir „nein, sie ist nicht mehr die Rakete von einst, sondern hat sich den Bedürfnissen ihrer Füße angepasst“. Der Camino hat sie auch entschleunigt.

Und wieder ein paar Schritte weniger!

Wir laufen den ganzen Tag, geniesen die entspannte Langsamkeit, schweigen oder unterhalten uns mit Zeichensprache. Nur wesentliche Elemente werden mit Google-Translate übersetzt. Wir lachen und haben Spaß ohne uns wirklich zu verstehen – wie auch so manches Mal in einer Partnerschaft – die richtige Basis macht’s!

Wir laufen erneut entlang der Autoabgase auf Nasenhöhe und plötzlich piepst es rechts von mir. Nicht in meinem Kopf, aber in unmittelbarer Nähe. Was ist das? Kein Wanderer, ich überlege welches meiner Endgeräte oder Apps dergleiche Geräusche absondert? Mein Mobiltelefon, Uhr oder mein Airtag? Nein nichts dergleichen, es schrillt erneut laut und entpuppt sich als kleiner, lautstarker Vogel. Schade, wie sehr wir der Natur entwöhnt haben und auf elektronische Nachrichten konditioniert sind.

Ob die Straße oder die Abgase zum Verhängnis wurden? RIP

Endlich, heute passiert es – Weidenkätzchen und Knospen der Bäume springen auf, der Lavendel sowie Thymian am Wegesrand steht in voller Blüte und der Oregano bekommt erste Blätter. In Deutschland sind die Bäume sicherlich schon seit einigen Tagen grün. Absurd! Dabei kommt mir Tamara‘s Hand in den Sinn, sie hat sich auf dem Camino böse Frostbeulen an den Händen eingefangen. Was ist nur los mit dem Klima – Leute! – morgen soll es -1 Grad und später -5 Grad geben, wir sind in Spanien!

Es gibt verschiedene Abkürzungen, aber wir wählen den originalen „Camino Francés“. Auf ein paar mehr oder weniger Kilometer kommt es inzwischen nicht mehr an, denn bis Tagesende haben wir über 528 Kilometer zu Fuß zurückgelegt.

Die Droge „Leben“

Auf der Spitze eines Hügels gibt es ein folgenschweres Motiv für ein Foto, ein alter Wagen steht in einem Garten.

Folgenschweres Motiv: eine Filmreife Szene, auch danach!

Als ich das Foto gemacht habe, sehe ich einen bärtigen Mann am Fenster – ich winke ihm zu und er zurück. Er kommt raus – „Kaffee?“. Ich antworte spontan mit „ja“ und Maria folgt mir. Der Mann begrüßt uns nochmals freundlich per Handschlag und wir wechseln die Sprache, denn er kommt aus Hamburg.

Im Haus lebt ein weiterer Mann (der Eigentümer) und sie bauen dort zusammen vor sich hin. Aus dem Kaffee wird nichts, denn es gibt nur Weis- oder Rotwein. Ok, warum nicht? Im vorbeigehen sehe ich das Geschirr im schmutzigen Spülwasser liegen und denke nur – oh Gott, was nicht tötet härtet ab.

Aber sie füllen frisches Spülwasser ein, dann gibt es frisch gespülte Gläser mit leckerem Wein und dazu eine wunderschöne Geschichte des Camino.

„Josss“ – er schenkt uns ein vierblättriges Kleeblatt in Folie eingeschweißt. Wir dürfen aussuchen!
„Marko“ – der Aussteiger aus (s)einer alten Welt mit einem T-Shirt von „Josss“

„Josss“ – mit drei „s“ – ist ein Portugiese aus Frankreich, der seit 40 Jahren hauptberuflicher Marionettenspieler ist. Sein Pilgerfreund „Marko“ – aus Hamburg – ist seit Juni unterwegs, er lebt offline und war zuvor Zimmermann. Er war Spezialisiert auf Fenster- und Türenbau bis er eines Tages sein altes Leben an den Nagel gehangen und gekündigt hat. Er ist im Juni letzten Jahres in Hamburg gestartet und ist ca. 2.500 km bis zum Jakobsweg marschiert. Zuvor war er in Polen, Rumänien, Kapaten unterwegs und hat sich dann über Holland, Belgien, Frankreich … bis zu den Pyrenäen hinweg gemacht. Seinen Besitz hat er seiner erwachsenen Tochter geschenkt.

Ohne Eigentum und Krankenkasse lebt er nun in jeden Tag. Ich frage ihn ob er nichts vermisst und er antwortet mit einem klaren „nein“. Er schreibt Gedichte und verdient damit Geld. Ich bekomme von ihm zum Abschied ein Gedicht geborgt – passend zu meinem Anker am Ohr – und darf es veröffentlichen – wunderschön – danke Marko!

„Ich segelte durch die Welten – die als verschwommen gelten – Auf Schiffen aus Wolken, – durch Zeiten, – in den als verschwommen geltenden Welten.“ – liebe Gabriele, das Foto widme ich dir ♥️

Marko lernte Jesss in seiner Hütte kennen, er erzählte ihm, dass er einen Schreiner braucht um eine Küche und einen geschlossenen Raum zu bauen. Dazu hat er Balken von abgerissenen Häusern für die Spüle und eine alte deutsche, zerlegte Sauna für ein Zimmer.

Nun, der Zuhörer – Marko – kann alles und beschließt zu bleiben – ohne Bezahlung. Marko hilft gerne, wohnt im Zelt im Garten und bekommt Lebensmittel umsonst. Im Dorf hat sich zwischenzeitlich rumgesprochen – so erzählt Marko -, dass im Haus ein deutscher Schreiner und Tausendsassa am Werk ist und so kann er sich vor Aufträgen nicht retten.

Ein Glück, dass ich heute mit Maria unterwegs bin. Ansonsten wäre ich dort den Rest des Caminos geblieben. Jesss will Wandskulpturen bauen und wer mein Tattoostudio kennt, der weiß, dass ich es kann. Entsprechend werde ich auf dem Rückweg (?) erwartet.

Die Droge „Leben“ – was macht den Unterschied?

Beide Herren genießen das Leben und leben in den Tag hinein. Wir hingegen sorgen vor, schließen Versicherungen ab, um das was wir uns mit Fleiß erwirtschaftet haben, nicht zu verlieren. Wie so oft vergessen wir dabei das eigentliche Leben. Oder?

Ich frage mich, wer ist am Ende glücklicher? Für die Beiden ist ihr Leben ihr Lebenselexier, ihre eigene Droge oder anders formuliert, sie sind süchtig danach, sich selbst zu sein. Sie werden von ihrem Leben beflügelt.  Ihr Leben ist alles was sie brauchen, um glücklich zu sein. Das ist das Leben aufs Wesentliche reduziert - leben!

Wir gehen weiter, sind beflügelt von deren Inspiration und laufen von der Straße in die lang ersehnte Natur hinein. Das musste so sein.

Wir laufen weiter und erleben ein paar Paradiesvögel auf dem nächsten Berg. Einer macht Holz, der andere liegt in der Hängematte. Der Tisch ist mit Erdbeeren, Bananen, Kiwis und Orangen gedeckt. Man kann sich gegen eine kleine Spende bedienen. Auch jene Gesellen sind zufrieden und leben ihren Tag. Tag für Tag.

Was für ein unvergesslich, wertvoller und vor allem eindrucksvoller Tag Buen Camino!