#Tag 29: kein Ende in Sicht

Gibt es eine Relation zwischen einem Wlan-Passwort und der Rentabilität eines Geschäftsmodells? Circa 99% aller Herbergen haben in ihrem Passwort eine Jahreszahl integriert. So deckt man beispielsweise mit dem Passwort „albergue2020“ sicherlich 10% aller Passwörter auf dem Camino ab.

Ich habe daraus die Hypothese abgeleitet, dass viele der Herbergen von neuen Pächtern übernommen wurden. Warum? Die Jahreszahlen 2022, 2021 und 2021 führen mit großem Abstand. Ab und an trifft man eine „2019“ aber älter? Fehlanzeige!

Vielleicht ist die Idee vom glücklichen, entspannten Leben in Spanien mit einer Herberge nicht so einfach oder lukrativ wie man zunächst annehmen mag. Zum einen gibt es viele Herbergen, auf die sich die 200.000 Pilger des „Camino Francés“ pro Jahr verteilen und dann die Coronarestriktionen (50% der Kapazität darf derzeit belegt werden), die die Rentabilität erheblich schmälern.

Ein Herz aus H2O – ich schenke es meiner lieben Sany ♥️

Im Gespräch mit James – dem Kanadier der eigentlich Amerikaner ist – kommt uns ein niederländisches Herbergspärchen in den Sinn. Sie hatten eine wunderschöne, künstlerisch aufgearbeitete Herberge gegründet und machten einen sehr gedrückten und eher traurigen Eindruck.

James ergänzt meine Hypothese mit unterschiedlichen Charakteren. Die beiden Holländer waren eher introvertiert. Für sie dürfte es schwer sein, in den ohnehin karg besiedelten Dörfern nachhaltigen Anschluss zu finden. Ihr Kontakt wäre dann auf die Durchreisenden limitiert und entsprechend kurzzeitiger Natur. Das dürfte auf Dauer frustrieren. Er ergänzt seine Hypothese mit einer weiteren Erfahrung – einem jungen, extrovertierten Pärchen, dass den Kontakt zu jüngeren Pilgern als große Party genossen hat. Sie haben eine andere Motivation und finden vermutlich auf Basis ihrer Persönlichkeit schneller Anschluss.

Wie auch immer, es sind nur Gedanken über deren Erfolgsschancen und ich freue mich darauf, diese Hypothesen mit Heidi als waschechte „Hospitalera“ zu verifizieren.

Von „El Acebo“ ging es heute weitere 820 Höhenmeter bergabwärts – zunächst ein kurzes Stück über schonende Feldwege und dann über Stock und Stein – Level 5.

Gestern Mittag war ich am Horizont. Das Foto entstand 24h später und bis zum Abend werde ich ca. 43 Kilometer vom Gipfel entfernt sein.

Da wir nach dem Frühstück spät los gegangen sind, drücke ich „auf die Tube“ und mache erst nach 10 km Rast. Ich bin jetzt schon gespannt darauf, wie es meinen Füßen am Abend geht, denn lange Strecken bergab haben sich bislang immer mit Blasen an den Ballen bedankt.

Ab Mittag kehrt die Zivilisation zurück und es geht durch schöne, kleine Dörfer. Ich betrete u.A. ein sehr faszinierendes, romantisches, scheinbar verlassenes Dorf. Nur der Geruch von verbrannten Holz zeugt hier davon, dass ein paar wenige Häuser bewohnt scheinen.

An einem dieser Häuser befindet sich ein Schild mit der Aufschrift „Gratis Wasser für Pilger“ und ich freue mich über die selbstlose Geste. Ich bleibe einen Augenblick stehen, denke nach und werde von einer Dame angesprochen. Wir klären mein Ursprungsland und fahren auf Deutsch fort – sie ist Niederländerin.

Sie lädt mich spontan auf eine Limo ein, während ihr Mann im Garten Beete für Tomatenpflanzen bettet. Zur willkommen Erfrischung, erzählt sie mir ihre Geschichte.

Sie hat vor vielen Jahren ihren ersten Camino abgeschlossen und er hat ihr Leben geprägt. Einige Jahre später war ihre Sehnsucht nach Spanien so groß, dass sie erneut in „Roncesvalles“ gestartet ist. In Logroño, erzählt sie mir, hat Sie ihren jetzigen Mann kennen gelernt. Er ist ebenfalls Niederländer und war auf dem Marktplatz auf der Suche nach Arbeit. Sie unterhalten sich und sie bucht ihn für einen Tag als Reiseführer. Anschließend reiste er ihr mit 40 kg Gepäck am Rücken hinterher und nur kurze Zeit später suchen sie ihr Traumhaus. Dort leben sie im ersten Jahr ohne Heizung und Strom und sind bis heute glücklich und zufrieden.

Meine Theorie bezüglich der Passwörter kann sie in sofern bestätigen, dass sie als extravertierte Persönlichkeit schnell Anschluss finden konnte. Die Jahreszahl begründet sie mit einem Providerwechsel – auch eine Option.

Sie erzählt mir, dass die meisten Häuser in Spanien sehr günstig, aber die Grundstücke oft mit Hypotheken belastet sind und daher ist Vorsicht geboten. Auch Pferde sollten auf einem zu kaufenden Grundstück nicht ansässig sein, denn sie haben dort ein Wohnrecht/ Gewohnheitsrecht und können damit einen Hausbau verhindern.

Nach 30 Minuten Pause bedanke mich, mache mich auf den Weg und werde von einer Schneefront verfolgt. Ich beschleunige und eile meiner Herberge entgegen.

Wieder werden meine Füße schwer und ich muss nur zwei Kilometer vor dem Ziel pausieren und gönne mir eine Dose „Monster“.

Als ich nach 20,4 Kilometern endlich ankomme, ist die zugehörige Kneipe der geplanten Herberge in „Columbrianos“ von Einheimischen besucht und der Herbergsvater gibt mir zu verstehen, dass die Herberge geschlossen sei. Das sagt er einfach so, tiefenentspannt, so als wäre das völlig normal. Sie ist einfach zu!

Die nächste Herberge liegt ein paar Kilometer weiter, in „Fuentesnuevas“ und diese hat ebenfalls geschlossen.

Laut meiner Ninja-App muss ich ins übernächste Dorf „Camponaraya“ und würde dort auf insgesamt 25 Kilometer Tagesstrecke kommen. Dort gibt es mehrere Herbergen und ich suche mir die schönste aus. Weiter gehts, zu Fuß, müde – Schritt für Schritt – und ich überlege ob ich trampen soll – nein, natürlich nicht! Als Belohnung für meine eiserne Konsequenz gibt es ein deftiges Schneetreiben – natürlich mit Gegenwind.

Ich mache wieder Rast und laufe anschließend zur nächsten Herberge und auch sie hat geschlossen. Die zweite – und letzte Chance in diesem Dorf – ist ebenfalls verschlossen und ich muss weitere 5 Kilometer gehen.

Nein, ich kann nicht mehr – denke ich und springe für die letzten Meter in ein Taxi. Mit 31,5 Kilometern komme ich an diesem Tag in der Herberge an. Einziger Wermutstropfen: auch James ist hier gestrandet und wir gehen gemeinsam Essen. Ein Pilgermenü gibt es nicht, dafür lieblos zubereitete Fertigpizza der übelsten Sorte – sie wird mit Schärfe schmackhaft gemacht.

Ach ja, da war noch was – das wichtigste zum Schluss – ich habe mir heute 3 weitere Blasen am rechten Ballen gelaufen. Willkommen im Club!

Buen Camino!

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