#Tag 28: Berg der Sinne

In der Herberge in „Rabanal del Camino“ traf ich gestern Abend erfahrene Pilger, die vor dem Aufstieg des bevorstehenden Berges „Monte Irago“ zwei Tage Rast eingelegt hatten. Das beeindruckt und so hatte ich mächtigen Respekt vor dem Aufstieg des Berges.

Endlich um 8:00 Uhr geht es los. Draußen ist es -4 Grad frostig, die Wege sind abschnittsweise gefroren und der Reif glitzert in der aufgehenden Sonne. Mit dem Feuerball am Himmel steigt die Temperatur auf ein für den Aufstieg perfektes Temperaturniveau – weder zu heiß noch zu kalt!

Zur Prävention von Frostbeulen habe ich meine Hände wieder in Socken gebettet und so stoplere ich aus dem Dorf hinaus – ganz alleine mit meinen Gedanken. Das wird ein toller Tag!

Es geht heute nach so vielen Tagen – wirklich – endlich – aus der Pilgerwüste in die lang ersehnte Natur, welche ich so sehr liebe: schmale Pfade über Stock und Stein, die Bäume mit Moos überwachsen und überall Heidekraut, Ginsterbüsche … – nur eben in einer spanischen Variante.

Es geht sukzessive nach oben, aber die Schönheit der Natur nimmt mir jede Anstrengung. Auch meine Füße sind entspannt – kein Schmerz – und ich freue mich über die unendliche Weiten. Je höher ich komme, desto näher rücken die schneebedeckten Gipfel, desto weiter die Perspektive – einfach unbeschreiblich, aber seht am Besten selbst.

In „Foncebadón“ komme ich nach 1,5 h Fußmarsch an. Und dort gibt es ein leckeres Frühstück in der ersten, spanischen Bar mit passender Bolero-Musik von „Boleros de Antaño“ – ein Traum zur umliegenden Kulisse.

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass Maria aus der Pilgerfamilie gestern Abend den gesamten Weg bis „Foncebadón“ nach unserer Tour allein absolvierte. Mein tiefster Respekt – Maria!

Wie immer gibt es zum Frühstück Toast, Olivenöl, Tomaten und etwas Pfeffer – heute als Selbstbausatz. Ich gesellte mich zu einem Schotten (mit horizontalem, rothaarigen Bartwuchs) und seiner bekannten aus Korea gesellen – das Anfangs erwähnte erfahrene Pilgerteam.

Sie beide haben ihren Job gekündigt und laufen den Camino um ihre Entschleunigung zu erleben. Sie möchte sich nochmals bewusst werden, wie wenig es bedarf, um wirklich Glücklich zu sein. In Korea gibt es eine ähnliche Leistungskultur – erzählt sie – und genau diese hat sie nach ihrem ersten Camino wieder eingeholt. Sie macht quasi einen „Refesh“.

Danach geht es weiter und ich treffe James – wir kennen uns aus der Herberge mit dem Weinkeller und haben den gestrigen Abend gemeinsam verbracht – und ich erkläre ihm wie wunderschön ich die vermosten Bäume finde.

Als ehemaliger Ranger eines Nationalparks weiß er Bescheid: Das Moos der Bäume wächst auf einer ganz besonderen kleinenblättringen Eichenart. Sie leben dort in Symbiose und genießen eine feuchte Atmosphäre und sie sind einfach wunderschön.

Nach einer Weile kommt ein verlassenes Dorf am Wegesrand, dort – so erzählt man sich leise – steigen die Dämonen hinab ins Erdreich. Während sie quasi durchs spanische Bergwerk irren, kann es für mich keine neuen Blasen geben – folgere ich daraus, perfekt! Vamos!

Auf dem Gipfel des ersten Berges befindet sich das Eiserne Kreuz „Cruz de Ferro“ bei dem die Pilger ihren Balast des bisherigen Weges und des Lebens ablegen können. Sie tragen dazu einen Stein aus ihrer Heimat mit sich und übergeben ihm dem Kreuz.

So einfach ist das und daher nehme ich den 2,5 Kilogramm schweren Brocken aus dem Rucksack und lege ihn danieder. Mein Rücken wird es mir danken!

Das Cruz de Ferro ist ein kleines Eisenkreuz, das, auf einen Baumstamm montiert, den mit 1.500 Höhenmetern höchsten Punkt des Jakobsweges markiert.

Nein, Scherz bei Seite, natürlich habe ich keinen Stein aus Alsdorf – ich wusste davon nichts bei meiner Abreise. Aber auf dem „Camino Francés“ erzählte man mir davon und so habe ich vor ein paar Wochen, einen einzig schwarzen Stein gefunden, der jenen Steinen von unseren heimischen Kohlebergen gleicht. Diesen habe ich just für dieses Ereignis mitgenommen und abgelegt.

Nach dem Gipfel am „Cruz de Ferro“ ging es bergab und anschließend hinauf zum wirklich höchsten Punkt des Tages mit 1.510 Höhenmetern. Auch hier ist die Aussicht einfach umwerfend und ich lege eine Rast ein – wohlverdient. Rucksack runter, Schuhe aus und das Gesicht mit einem breiten grinsen zur Sonne gedreht. Und hups – was haben wir denn da – ein leckeres „Estrella-Bier“ als Pausensnack.

Wie immer – ihr wisst es schon – geht der Abstieg wieder über zahlreiche Felsplatten und loses Gestein hinab ins Tal. Eine wahre Herausforderung für die lädierten Füße – Schritt für Schritt. Analog zu gestern fühle ich, wie langsam meine Füße werden und beschließe im nächsten Dorf eine Herberge zu suchen.

Warum soll ich mich beeilen? Ich habe Zeit und der Ausstieg gestern hat meinen Füßen wohl getan, so konnte ich heute schmerzbefreit in aller Frische meine Natur geniesen.

Ich lebe hier und jetzt und will jeden Atemzug auskosten. Der Fortschritt und der Weg sind das Ziel und eigentlich ist selbst letzteres überflüssig. 

Ich nächtige also in einer Herberge am Ortsrand und wer kommt zur Tür herein? James der Kanadier und wir freuen uns wie kleine Kinder über unser Wiedersehen. Wir essen zusammen, führen sehr interessante Gespräche und genießen den restlichen Wein passend zum Sonnenuntergang.

Zum Abschluss ein wichtiger Hinweis aus unserer Whatsapp-Gruppe: der erste Pilger unserer Pilgerfamilie vom Tag 1 hat es geschafft. Herzlichen Glückwusch lieber Sillian zu deiner „Compostela“. Mir bleiben glücklicher Weise noch ca. 11 bis 12 Tage auf meinem Jakobsweg.

Unser Sillian ist die letzten Tage über die Pfade geflogen und darf sehr stolz darauf sein. Er ist heute in „Santiago de Compostela“ angekommen. Herzlichen Glückwunsch Sillian!

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