#Tag 8: jeder Abschied ist ein Neuanfang

Nach einer anstrengenden Nacht im Schlafsaal neben völlig betrunkenen Spaniern, die sich ihre Mahlzeit nochmals unbedingt durch den Kopf gehen lassen und ihre Party nicht vor 6:00 Uhr beenden wollten, schlafen wir erst mal aus und liegen bis um 10:00 Uhr im Bett der Herberge.

Unsere Pilger-Familie bricht anschließend zu einem letzten gemeinsamen Frühstück auf. Wir genießen leckere Brötchen und Kaffee in der Sonne auf einem Bürgersteig und planen die Zeit nach unserer Auflösung und sind bedrückt. Die 7 gemeinsamen Tage waren einfach wundervoll und wir alle werden sie vermissen.

Die Henkersmahlzeit! Von links nach Rechts: Michael, Maria, Jessica und Sillian.

Maria – auch 🚀 „Rocket“ 🚀 genannt – die unserer Gruppe stets davongelaufen ist und die Ortschaften als Späher erkundete und schon alles wusste, bis wir endlich ankamen. Sie gewann täglich an Kraft hinzu und hat uns mit ihrer grenzenlosen Energie mitgezogen. Sie war unsere gute Seele und der ausgleichende Pol unserer Gruppe der uns gezeigt hat, dass die Grenzen nur durch den Kopf gesetzt werden. Ihre Stärke und ihr Mut ist bewundernswert und auch ihre Gabe an unseren Gesprächen teilzunehmen, wenngleich sie die Sprachen nicht spricht. Maria wird den Weg alleine weiterwandern und ohne uns nochmal an Geschwindigkeit gewinnen. Muchas gracias! Buen Camino!

Jessica – unser Energiebündel, das stets gute Laune versprühte, immer lachte und mit ihrem Charm stets pragmatische Lösungen für uns geschaffen hat und alles fleißig übersetzte. Sie kämpfte mit Gerechtigkeit für die Familie und setzte sich mit ihrem großen Herzen für uns ein. Jessica wird nun in ihren Alltag zurückkehren und reist mit dem Zug nach Barcelona. Ich werde nie vergessen wie sie uns am ersten Abend vor dem „Hungertod“ bewahrt hat, indem sie den hartnäckigen Kellner davon überzeugte, das sein Feierabend doch noch nicht gekommen war. Danke für die Aufheiterungen und kleinen Aufmerksamkeiten – die gelungene Überraschung mit meinem Lieblingsgetränk „Monster“ hat mir den Schmerz gelindert. Muchas gracias!

Sillian – unser Pilger-Mentor, pausenloser Unterhalter (der immer arbeitete und telefonierte), unser Übersetzer (6 Sprachen) und aufmerksamer Unterstützer dessen Energie grenzenlos ist und sich nicht deaktivieren lässt. Sillian ist ein hoch energetischer Mensch, der seine Berufung zum Beruf gemacht hat: er hilft selbstlos allen Menschen gleichermaßen – ganz gleich ob er sie kennt. Trotz seiner hohen Energiedichte hat er sich für uns ausgebremst, um mit uns eine Pilgerfamilie zu gründen und unser Wohl zu organisieren. Sillian wird jetzt bei einem Freund und Mitarbeiter seiner Entwickimungshilfeorganisation zwei Tage Pause machen und anschließend den Weg mit großen Wanderstrecken am Tag von bis zu 50 km in kürzester Zeit abschließen. Ich werde ihm immer dankbar dafür sein, dass er uns geduldig unterstützte, motivierte und mich am ersten Tag vor der Aufgabe aufgrund meiner Kraftlosigkeit beim steilen Anstieg der unzähligen Höhenmeter bewahrt hat. Danke auch für die vielen Pilgertipps, die ich durch ihn erlernen durfte und für deine Fürsorglichkeit mit der du uns jeden Tag versüßt hast. Zum Abschied wünscht er uns „Let that every day becomes a dream that touches you again“. Molte grazie! Buen Camino!

Nun, was war mein Beitrag? Ich glaube ich war die Inspiration der Gruppe, der Mann fürs Detail, der dafür sorgte, dass nichts übersehen und alles mit Fotos dokumentiert wurde. Derjenige der zeigte, dass es mit hoher Motivation immer weiter geht (trotz schmerzender Blasen oder Rücken), der persönliche (auch mal kritische) Denkanstöße gab, der zu allen Themen eine App hat und immer Strom und ein Always-On-Navi verfügt und mit dem man lachen konnte. Ich glaube das war meine Ergänzung für die Gruppe. Danke, liebe Pilger-Familie, dass es uns gab!

„Querida familia peregrina, os echaré de menos.

Aber so ist der Camino, man lernt wertvolle Menschen kennen, geht mit Ihnen einen Teil des Weges und erfährt dabei viel über sie und sich selbst. Man lernt viele neue Perspektiven kennen, man erweitert seinen Horizont.

Mein Plan für die zweite Tageshälfte ist, dass ich meinen Füßen heute einen Tag Auszeit und Ruhe gönne – und so soll es sein. Über Booking.com wird ein günstiges Hotelzimmer mit Wlan und Badewanne gebucht und anschließend fahre ich mit dem Taxi in ein medizinisches Zentrum.

Dort angekommen geht es los – die Übersetzung fehlt – weder die Dame am Empfang, noch die mich behandelnde Ärztin sprechen ein Wort englisch. Sie möchte meine Gesundheitskarte und blickt diese kritisch an, spricht vor sich hin und kopiert alles. Irgendwie geht es weiter. Ich erkläre mit den Händen worum es geht, kann aber die Antworten nicht verstehen.

Der Warteraum ist voll und nach nur 5 Minuten wird meine Wartenummer aufgerufen und es geht los zur Behandlung (in Deutschland hätte ich viele Stunden gewartet). Die Ärztin schaut etwas entsetzt als sie mir eine Blasen sieht und spricht irgendetwas auf Spanisch. Natürlich kann ich sie nicht verstehen, erkenne aber an ihren Gesten, dass es nicht gut ist was sie sagt. Sie spricht irgendetwas von pilgern und gibt mir zu verstehen, dass es wohl nicht weitergehen wird.

Ich zücke mein Handy und stelle ihr meine Fragen mit einem Übersetzungsprogramm (www.deepl.com) und zeige ihr die Übersetzung. Ihre Antwort verstehe ich nicht und so gebe ich ihr mein Handy und sie tippt wiederwärtig darauf los. So funktioniert der Austausch ganz gut – Problem gelöst!

Sie erklärt mir, dass ich drei Tage lang Pause machen muss, damit meine Füße heilen können. Ich darf keine Schuhe anziehen und muss dafür sorgen, dass die die Blasen nicht nass werden. Ich entscheide mich nach der Rückfahrt mit dem Taxi – mit meinen Schuhen in der Hand – dass ich das Hotelzimmer einen weiteren Tag verlängere. Ich gehe davon aus, dass die Blasen nach zwei Tagen schon ausreichend abgeheilt und auch die Schwellungen an meinen Knöcheln verschwunden sind. Das muss reichen!

Jetzt erst mal aufs Bett, mit der Familie telefonieren, schlafen und die Ruhe und Einsamkeit genießen. Endlich Privatsphäre, keine schnarchenden Zimmergenossen, ein eigenes Badezimmer und vor allem muss ich keinen Rucksack ausräumen und einräumen. Das wird toll! Nur schade, dass ich die Badewanne nicht nutzen darf – ohne Füße wird der Einstieg schwer.

Geschärfte Sinne durchs pilgern?!

Die Gedanken springen und so lande ich am Ende des Tages wieder beim Wesentlichen. Ich liege auf dem Bett und habe Hunger und denke darüber nach was ich essen könnte.

Der Verzicht auf die vielen kleinen Dinge des Alltags führt dazu, dass die Sinne geschärft werden. Alles wird viel intensiver und jeder Bissen führt zu einer Geschmacksexplosion.

So ist es nicht erstaunlich, dass ich gerade jetzt an das letzte gemeinsame Abendessen unserer Gruppe denken muss.

Wir hatten vorgestern ein 6 Gängemenü für jeweils zwei Personen (30,- € pro Person) mit je einer zugehörigen Flasche lokalen Wein. Das „Restaurante la Bellota“ war wundervoll und wir haben uns wirklich willkommen gefühlt.

Ich würde daher vorschlagen, dass jeder Pilger mindestens einmal in diesen Genuss kommen sollte.

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