#Tag 4: neue Horizonte

Heute bin ich den größten Teil der Strecke von 28,5km alleine gewandert und habe dabei viel über den Weg und das Leben nachgedacht. Immer wieder haben mich die Gedanken, die Schönheit des Weges und Zeit die man sich dort schenkt, zu tiefst berührt. Der „Camino Francés“ ist eine wundervolle Erfahrung.

Montaña del perdón – Der Gipfel liegt nach 500 Höhenmetern in der Mitte der heutigen Wanderung. Seine Geschichte wie auch die, des dort befindlichen Monuments möchte ich nicht vorenthalten:

Unter der Diktatur von „Franzisco Franco“ sollten alle Widerstände gegen seine Macht gebrochen werden. Er wollte die spanische Sprache bei dem von ihm beanspruchten Volk durchsetzen und dabei wurden alle wiederständischen Basken getötet. 39 von ihnen wurden leblos auf den Berg verbracht und dort gefunden – seitdem trägt er den Namen „Montaña del perdón“ (Berg der Verzeihung).

Monument aus Stahl auf dem Berg der Verzeihung.
Ein Denkmal für jene Menschen, die beim Widerstand gegen das Regime von Franco gefallen sind. Die Steine tragen die Namen der am Berg gefundenen Toten. Der große Stein in der Mitte steht für alle, die nicht identifiziert werden konnten.

Die vielen Eindrücke heute und die Zeit des Weges prägen meine Gedanken und daher könnte es nun etwas philosophisch werden, wenn ich über Perspektiven, die Pilgergruppe oder die Empfindung berichte. Vielleicht geben sie den einen oder anderen Denkanstoß?

1. Perspektiven: Der Weg spiegelt in gewisser Weise das Leben wieder. Jeder Hügel, jeder Berg bringt neue Horizonte und Perspektiven - neue Hügel, neue Täler und neue Wege, … - und diese gestalten die eigene Zukunft. Der Blick zurück zeigt die Vielfalt der vergangenen Handlungsoptionen. Die Freiheit über den nächsten Schritt bzw. die Wahl des neu entdeckten Weges, die diese neue Perspektiven mit sich bringen, ist jedem gegeben und verändern seine Zukunft. Nur demjenigen der still steht, dem bleiben sie für wohl immer verwehrt. 
Denkt man darüber nach, so sind viele Wege und deren Beschaffenheit durch tektonische Verschiebungen entstanden. Diese äußeren Faktoren beeinflussen unweigerlich den eigenen Weg. 

So hat mir mein Abstieg vom Berg über Geröll und Fels leider vier weitere Wasserblasen (zwei davon tiefsitzend unter beiden Ballen) beschert. ich hoffe, dass sie keine Zwangspause mit sich bringen.

Ein wachsender Gedenkplatz für einen verstorbenen Menschen. Viele Pilger fügen einen Stein hinzu.
2. Pilgergemeinschaft: Die durch das Pilgern verbundene Gemeinschaft wird durch den Startzeitpunkt verknüpft und ich bin froh und dankbar, Teil einer so vielseitigen und wundervollen Pilgergruppe zu sein. Man erlebt die Zeit gemeinsam, tauscht Erfahrungen aus und sammelt auch hier neue Perspektiven. Man geht auseinander und läuft sich wieder über den Weg, man hilft sich gegenseitig und ergänzt sich mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen und kann sich aufeinander verlassen. Eine wunderschöne Erfahrung! Danke liebe Freunde!
Ein Teil unserer Pilgergruppe vor Arena von Pamplona, dem Startplatz der Straßenstierkämpfe.
3. Empfindung: Ist das Empfinden lediglich eine Frage der Perspektive? Ich habe viel über die Schmerzen von gestern nachgedacht. Sie waren gestern den ganzen Tag präsent und haben einen großen Teil des Tages eingenommen. Nachdem wir für kurze Zeit pausiert hatten, waren sie für den Rest des Tages verschwunden. Ich dachte darüber nach, was sich geändert hat, denn alle Rahmenbedingungen blieben unverändert und entsprechend könnte es nur eine Frage der Perspektive sein?! Ich frage mich, ob der Rückenschmerz durch den Rucksack eine Frage der eigenen Perspektive ist? Wie auch immer, konnte ich gestern den Schmerz des Rucksacks über 28,5Km erfolgreich ignorieren. Wie? Ich habe ihn akzeptiert und anerkannt - wäre schön, wenn es immer so einfach bliebe. Etwas später sollte ich lernen, dass der Schmerz nur der Aufschrei des Körpers nach einer Pause ist. 

Buen camino!

#Tag 2: spanische Herberge und Buchsbaumwälder

Knapp 50 km hinter uns und nur noch 790 km bis zum Ziel des Jakobswegs: Santiago di Compostela. Quasi ein gemütlicher Spaziergang.

Man stelle sich vor, man sei nach langem Fußmarsch in der Herberge (einem wunderschönen Kloster in Roncesvalles) angelangt und wird völlig entkräftet, übermüdet und erschöpft zunächst mit einem strengen Regelwerk konfrontiert. Das Ganze wird verbalakrobatisch so verpackt, dass man den Ärger schon spüren kann und man weiß, dass jeder Verstoß gnadenlos geahndet werden dürfte und hier keine Ausnahme die Regel bestätigt.

Die erste Reifeprüfung naht: der „Schlafinspektore“ schwebt in seiner Uniform 20 Minuten vor 22:00 Uhr gleichmäßig und mit konstanter Geschwindigkeit vorüber und verkündet die nahende Schlafenszeit. Das gleiche wiederholt sich 10 Min. später nochmals und dann folgen noch zwei nachgelagerte Kontrollgänge, bei denen jede Form der Elektrizität strengstens unterbunden wird. Entsprechend ruhig ist die Nacht und wird lediglich vom regelmäßig wiederkehrenden Gebläse des Handtrockners im Sanitärraum unterbrochen.

Der Morgen beginnt mit hellem Licht und gregorianischen Gesängen, gefolgt von Punkmusik der 80iger und endet mit dem französischen Chason „Je t‘-aime“. Ich vermute zunächst schlaftrunken, dass ein Nachbar einer nahestehenden Koje seinen Wecker auf voller Lautstärke vergessen hat. Fehlanzeige, es ist offizielle Aufstehzeit, damit alle den Schlafsaal pünktlich bis 8:00 Uhr verlassen. 20 Minuten vor 8:00 Uhr schwebt der „Aufwachinspektore“ vorüber und verkündet monoton, aber bestimmt, dass die Zeit des Exits naht. Gleiches wiederholt sich 10 Minuten später und um 8:00 Uhr wird einfach das Licht abgestellt und die verbleibenden Gäste zücken ihre Stirnlampen. Diese kleinen Erfahrungen haben den Aufenthalt zu etwas besonderen gemacht und ich bin dankbar.

Gegen 9:00 Uhr geht es los – in einen Tag mit 21 km Wegstrecke. Die Steigungen sind nicht so dramatisch und es geht einen großen Teil der Wegstrecke bergab. Wir wandern den Pferdekoppeln entlang die Hügel hinauf und hinunter und kommen in einen träumerischen Buchsbaumwald. Das dunkle grün und die vermoosten, vielästigen Stämme sind wirklich beeindruckend.

Ein wunderschönes wildwachsendes Buchsbaumgebiet und endlos bemooste Baumstämme in der Nähe von Zubiri.

Der Wandertag endet ähnlich dem gestrigen. Sobald die letzten 4 km angebrochen sind, zieht sich das Finale wie Kaugummi. Ich überlege wie man die Motivation bis zum Schluss aufrecht erhalten kann – leider Ergebnislos. Dieses mal war es nicht die Steigung, sondern der felsige Bodengrund und das Geröll, das uns nochmal alles abverlangte – denn nur ein Fehltritt könnte das Ende des Jakobsweges bedeuten.

Am Abend sind wir in einer privaten Herberge, schnippelten Gemüse und wurden von Silian lecker mit einem 4-Gängemenü (Gemüsesuppe, Ziegenkäse und Champinon-Pasta, Karotteneinlage und Obstsalat) bekocht. Anschließend konnte ich meine erste große Wasserblase an der Ferse versorgen (eine kritische Stelle wie ich erfahre). Hoffen wir mal, dass diese nicht zum Problem wird.

Es war ein wunderschöner Tag – in diesem Sinne gute Nacht 🌙.

#Tag 1: „Gehe deinen Weg mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand“

Der Herbergsvater erklärte, dass der Camino Francés kein Sport sei, bei dem man etwas beweisen müsse. Sondern das man diesen nach seiner inneren Stimme – mit Gefühl (mit dem Herzen) – gehen solle. So wollte ich es auch …

Ich war also fest entschlossen mit nur 11 km langsam zu starten, glaubte dann aber an mehr – wollte weiter und den gesamten Königsweg der ersten Etappe bezwingen. Das geht natürlich nur solange gut, wie der Körper und die Kraft mitspielen – dass sollte ich heute lernen!

Am Ende waren es ca. 28 km bei 1.100 Höhenmeter mit einem 10 kg Rucksack in ca. 11 Stunden mit immerhin 3.134 verbrauchten Kalorien.

Zwei Pilgerinnen Jessica mit ihrer Mutter Maria aus Venezuela und ein erfahrener, hilfsbereiter Pilger Sillian aus Italien als Mitstreiter am Tag 1

Die Motivation und Kraft hat mich 4 km vor dem Ziel verlassen und das vor dem steilsten Stück – 700 mühsam verbliebene Höhenmeter durch die Wildnis: non-stop. Zur Intensivierung meines ersten Nullpunktes wollten dann noch mehrere umgestürzte Bäume überklettert werden und damit zog sich der Fortschritt grenzenlos. Welch ein Glück, dass ich den – nicht enden wollenden – Wettlauf gegen die Dunkelheit nicht alleine bestreiten musste.

Nach 11h – die Erlösung durch das Gipfelkreuz ♥️

Mein Gesamtfazit für heute:

Vom Gipfel nur 23 Min Abstieg bis zur wunderschönen „Albergues in Roncesvalles“ mit 3-Gängemenü im „Casa Sabina“ – unendlich glücklich, lecker und dankbar 😊
1. Der Weg ist wie das Leben: du gehst den Berg steil nach oben und wunderst dich (zunächst), wie schnell man an Höhe gewinnt. An der nächsten Biegung geht es wieder hinab ins Tal. Aber wenn du weitergehst, kommst du weiter … zum Ziel! 

2. Die Perspektive macht die Motivation, den Antrieb und das macht den Unterschied - „ich will …“ versetzt Berge, „ich muss …“ setzt sie. Die Grenze setzt am Ende der Körper selbst.

3. Lerne deine Grenzen besser behutsam kennen.

Buen Camino!

Resumé der Vorbereitung: weniger ist mehr!

Noch 4 Tage bis zur Abreise und ein Resumé ist angebracht: Ich habe meine erfolgskritische Hüfte durch Gewichtsabnahme (8kg) in den letzten 4 Wochen (gesunde Ernährung), 6x Physiotherapie und laufenden Dehnübungen gestützt, Rückenschmerzen mit Gewichtsreduktion bekämpft und aktive Gewichtsverlagerung durch Wanderstöcke und (Dehn-)Pausen erlernt …

Heute ist es gekommen – das letzte Wandertraining mit nur 16km – das Ergebnis: das Handgelenk schmerzt nahezu unerträglich. Das ernüchternde Ergebnis der Untersuchung beim Arzt: Sehnenscheidenentzündung – vermutlich durch das Wanderstocktraining – 14 Tage Verzug.

Was habe ich bislang gelernt?

1.Weniger ist mehr: weniger Luxus ist weniger Gewicht auf den Rücken und auf den Rippen. Weniger Training und weniger Verlagerung der Problemzonen führt zu weniger Nebenwirkungen.

2. Gesundheit ist ein kostbares Gut: sie will aufmerksam behütet werden, ein ganzes Leben lang und nicht erst wenige Wochen vor dem Start.

3.Pausen zur Reflektion: sie dienen dazu auf Signale zu achten, zum Feinjustieren der Maßnahmen und der Strategie.

NACHTRAG vom 03.03.: 4. Der Wille versetzt Berge – die Selbstheilung des Körpers ist phänomenal und manchmal geht es schneller als man denkt! Der 05.03. bleibt gesetzt – auch wenn es nicht einfacher wird mit leichten Blessuren des Trainings zu starten.

Startpunkt gesetzt!

Wahnsinn, da wird man durch Corona ausgebremst, dann kommt noch ein verlockendes Interview mit mir zum Thema „Marktplätze“ am 03.03. dazwischen und jetzt wurde gebucht.

Heute habe ich drei Stunden alle Optionen ausgelotet, Foren durchwühlt, Verbindungen analysiert, Preis-Leistung verglichen und am Ende mit gutem Bauchgefühl entschieden. Am Samstag den 05.03.2022 um 7:22 Uhr geht es los!

Statt mit dem Flugzeug oder Bus gehts los mit der Bahn. Mit dem Thalis zum „Gare du Nord“ in Paris, dort mit der Métro zum „Gare Monteparnasse“ und von dort mit dem SNCF nach „Bayonne“ – 159,- Euro. Mit der letzten Bummelbahn des Tages (hoffentlich) geht es dann nach „Saint Jean Pied de Port“ dem Startpunkt meiner 800 km lange Wanderreise.

Zur Sicherheit eine eine gehörige Portion online Recherche?!

Mit der Entspannung kommt der Flow

Ich nutze die Zeit der Genesung und lese viel, schaue Videos über den Jakobsweg und stelle immer wieder fest, dass sich offensichtlich nur die Anfänger (wie ich) dermaßen übertrieben vorbereiten. Ich fühle mich ertappt: denn ruft hier etwa das Streben nach Sicherheit 😉 ?

Eine Videodokumentation gibt mir zu denken: ein junger Mann wandert seit Tagen den „Camino Frances“ verbissen weiter und versucht seinen Schmerz zu ignorieren. Fast am Ende seiner Kräfte trifft er auf einen Deutschen, der ihm erklärt „er würde Genau so wandern, wie wir Deutschen arbeiten – da ist sie wieder ‚unsere Leistungskultur‘. Wir Deutschen geben alles bis zur Erschöpfung, um später in der Rente das Leben zu genießen.“ Er gibt auch alles, um die Herberge und/oder sein Tagesziel zu erreichen um dann erst die Füße zu schonen.

Ich erkenne mich wieder und will mich zu Anbeginn des Weges daran erinnern. Denn es geht vielmehr darum, den Weg und die kostbare Zeit auf diesem zu genießen, statt ihn abzuleisten. Dazu gehören Pausen, Auszeiten und vor allem die Bedürfnisse seines Körpers ernst zu nehmen und zu akzeptieren.

Fortschritt lässt sich nicht aufhalten

Abschiedsgeschenk DocMorris eCom-Team 2018

Manchmal kommt es schneller anders, als man denkt. Gestern noch von einer wundervollen Wanderung begeistert und am Abend haben die ersten Symptome von Corona angeklopft.

Einen paar Stunden später besiegelt das positive Schnelltestergebnis – trotz zweifacher Impfung und Boostern – meine Zwangspause.

Nach der anfänglichen Ernüchterung, ist mir ein passendes Plakat eingefallen, dass mir mein geschätztes Team von DocMorris zum Abschied geschenkt hatte. Und genau so möchte ich – stand jetzt – auch jetzt mit den nächsten Wochen bis zum Jakobsweg auf dem „Camino Frances“ verfahren – auch wenn es durch die Zwangspause nicht einfacher wird: Ein Urban lässt sich nicht aufhalten.

Vorbereitung bis die Füße qualmen

Zur Tour geht es hier: https://www.komoot.de/tour/659663345?ref=itd

4km, 10km, 15km und dann 23km – so in etwa läuft das Training in den letzten Wochen. Nicht täglich (der künftige Beruf braucht gleichermaßen Vorbereitung) und auch nicht mit vollem Gepäck, denn der Rücken des einstigen Bürotiegers gibt vor, sich lieber stetig zu regenerieren.

Wenn endlich die Zeit gekommen ist, werde ich erleben ob meine fast 51 Jahre alten Zellen ausreichend gestärkt sind. Ich merke aber schon jetzt – täglich – wie sich mein Körper regeneriert. Ein Sabbatical, es befreit Körper und Geist und stärkt den Blick fürs Wesentliche. Und ich freue mich darauf, meine Komfortzone zu verlassen: jeden Tag auf dem „Camino Frances“ ins ungeplante zu wandern und nicht zu wissen was der Tag bringt. Man sagt nicht umsonst: „der Weg ist das Ziel“.

Meine Motivation und mein Wille scheinen Grenzenlos, ich brenne für die nahende Erfahrung und bin meiner liebevollen Familie unendlich dankbar, dass sie mich darin unterstützt! Ich will und das ist gut so!